Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt…1
Dieser Artikel ist ein verspäteter Nachtrag zu einer Blogparade. Nachdem ich endlich Zeit hatte, einzelne Beiträge zu lesen, fiel mir etwas auf, von dem ich glaube, dass es wert ist, hier in einem Blogpost festgehalten zu werden.
Die Blogparade
Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Da es sich zum größten Teil um Lehrkräfte handelt, bin ich nicht immer dabei, aber die Themen sind immer interessant. Für die zweite Runde der Blogparade war das Thema “Arbeitszeiten in der Schule erfassen”. Den Startpost und die anderen Beiträge gibt es bei Halbtagsblog von Jan-Martin oder bei Tobias Schreiner.
Verständlicherweise fokussieren sich viele auf den Aspekt der Arbeitszeiterfassung und der Schwierigkeiten, Dinge, die Lehrkräfte tun, in Arbeitszeit oder nicht Arbeitszeit einzuteilen und die Abneigung, zeittechnische Erbsenzählerei zu betreiben. Das sind berechtigte Einwände, die allerdings nicht nur auf die Schule zutreffen. Wenn ich mich mit Themen beschäftige, die ich arbeitstechnisch ebenfalls benötige, weil mich das eben interessiert (sagte ich schon, dass mein Berufsleben glücklicherweise fast immer mit dem Spruch “it’s just a passion I get paid for” beschrieben ist?), dann ist die Trennung auch nicht klar. Das ist eine grundlegende Herausforderung für Wissensarbeiter. Zudem wird durch die bloße Erfassung der Arbeitszeit (die ja jetzt per EuGH-Urteil vorgeschrieben ist, also ist der Aspekt des “will ich das oder nicht” sowieso vom Tisch) die Arbeitslast ja nicht weniger. Noch dazu mit der besonderen Situation für Lehrkräfte, die sich mit der 38-Stunden-Stechuhr-Woche von Arbeitenden in einer Fabrik nicht vergleichen lässt.
Der wichtigere Aspekt
Als jemand, der seine Arbeitszeit schon seit langer Zeit erfasst (wenn Du in einem Beruf tätig bist, bei dem Deine Arbeitszeit an verschiedene Kunden weiterberechnet wird, ist das schlicht eine Notwendigkeit) fehlen mir bei fast all den Blogbeiträgen einige Aspekte, die eine solche Dokumentation für die jeweilige Person selbst wertvoll machen: die Analyse dieser Daten und die Schlussfolgerungen, die sich daraus ziehen lassen. Dazu gehört auch, dass das Datenmaterial in einer leicht weiter verarbeitbaren Form vorliegt und nicht dem beschränkten Angebot eines Programms (einer “Äpp” 😉) unterworfen ist.
Wie sieht das aus?
Ich habe mich auch lange Zeit durch alle möglichen Angebote probiert (obwohl vor 15 oder 20 Jahren das Angebot noch sehr viel eingeschränkter war) und auch selbst Software für diesen Zweck geschrieben. Im Lauf der Jahre gelangte ich zu einer immer stärkeren Minimalisierung der Funktionen und einer besseren Auswertbarkeit der Daten nach Kriterien, die mir vielleicht zum Zeitpunkt der Erfassung noch gar nicht bewusst sind. Zum Ergebnis passt sehr gute das folgende Zitat.
“A designer knows he has achieved perfection not when there is nothing left to add, but when there is nothing left to take away.”
– Antoine De Saint-Exupéry
Seit 2009 nutze ich eine einfache, dumme Textdatei für die Zeiterfassung und kann damit mehr machen als mit allen Programmen, die ich bisher genutzt habe, weil die Auswertung der Daten durch das jeweils am besten für den Zweck geeignete Werkzeug erfolgen kann.
Hier ein beispielhafter Screenshot, wie meine Dateien aussehen:
Eine Textdatei bietet schon mal den Vorteil der Strukturierung durch Leerzeilen, die bei der Auswertung einfach überlesen werden. Außerdem ist Text einfach Text, d.h. ich kann als Mensch ganz einfach ohne jede Anwendung die Daten einfach öffnen, lesen und bei Bedarf (und genügend großer Leidensfähigkeit als Windows-User sogar mit Notepad) auch einfach korrigieren und ergänzen. Wie Pater Salus schon 1994 schrieb: “Write programs to handle text streams, because that is a universal interface.”2
Es gibt eine Zeile, die einen Arbeitstag markiert und die einfach Day YYYY-MM-DD
lautet. Der Grund dafür ist schlicht Faulheit: ich muss dann bei den einzelnen Einträgen nicht jedes Mal das Tagesdatum ergänzen. 😉
Ein einzelner Eintrag besitzt das Format HH1:MM1 HH2:MM2 Was Wer Notizen
:
- HH1:MM1 ist die Startzeit
- HH2:MM2 ist die Endezeit
- Was ist die Tätigkeitsgruppe
- Wer ist die Person bzw. der Kunde
- Notizen ist Freitext mit Zusatzinformationen
Die “Tätigkeitsgruppe” ist bei mir ein Wert aus folgender Liste (das muss jemand individuell für sich festlegen):
- Mails
- Research
- Tasks
- Support
- Learning
- Docs
- Meeting
Das ist alles. Das reicht seit über 15 Jahren. 😉
Warum sieht das so aus?
Der Tag als eine Art von Titelzeile steht da wie oben beschrieben, damit ich das nicht bei jedem Eintrag ergänzen muss.
Die beiden Zeitstempel sind eigentlich selbsterklärend. Ich runde allerdings bei allen Einträgen auf die nächsten 5 Minuten, weil das einfacher ist. Wenn Du eine minutengenaue Abrechnung brauchst, dann eben die exakte Uhrzeit.
Die Tätigkeitsgruppe erlaubt mir eine einfache Auswertung, wie viel Zeit für eine bestimmte Klasse an Arbeiten aufgewendet wird. Hier muss jeder für sich selbst entscheiden, wie diese Liste aussehen muss. Mehr als etwa ein halbes Dutzend Einträge macht aber aus persönlicher Erfahrung keinen Sinn, da sie Sache sonst zerfasert bzw. der zusätzliche Erkenntnisgewinn zu gering ist.
Die Einträge oben sprechen für sich selbst, lediglich Tasks
benötigt vielleicht eine Erklärung: das sind Tätigkeiten, die regelmäßig und manuell immer wieder ausgeführt werden müssen, sei es die Kontrolle des erfolgreichen Backups, das morgendliche Abarbeiten einer Checkliste für ein System, Einspielen von Updates.
“Wo bleiben denn die Pausen?” höre ich gerade in meinem Hinterkopf. Ganz einfach, alles vom Arbeitstag, was das zwischen dem ersten und dem letzten Eintrag nicht erfasst wurde, sind Pausen. Die muss ich nicht eingeben, die lassen sich berechnen, genau dafür sind Computer da. 😉
Das Wer
ist der Name der Kollegin oder des Kollegen bzw. des Kunden, für den ich diese Arbeit verrichte. Wenn ich das für mich selbst tue, wie beim lernen, dann steht da natürlich mein Name. Für Lehrkräfte würde es sich anbieten, die Bezeichnung der Klasse einzusetzen.
Der Rest der Zeile ist eine optionale Notiz bzw. Erläuterung, falls das gewünscht wird. Hier lassen sich über #Hashtags
bei Bedarf weitere Kategorien unterbringen, z.B. Unterrichtsfächer.
Und die Erkenntnis?
Habe ich diese Datei (die ich immer unter dem Namen Daylog-YYYY.txt
für ein ganzes Jahr führe) zur Verfügung, sind Auswertungen jeder Art kein Problem. Vorher gibt es einen Filter, der aus der Titelzeile für den Tag dieses Datum vor jeden Eintrag schreibt (sowas mache ich nicht manuell). Wie so ein Filter/Tool/Script aussehen kann, wird der Leserin zu Übung überlassen. Wenn ich daran denke, aktualisiere ich den Post mit meinem Script.
Jetzt ist die Beantwortung von folgenden Beispielfragen einfach ein Gruppieren und Filtern (das geht sogar in Excel):
- “Wieviel Support habe ich für den Kunden XYZ wann geleistet?”
- “Wieviele Stunden verbringe ich jeden Tag mit Mails?”
- “Habe ich genügend Zeit für die eigene Weiterbildung?”
- “Wie ist für eine Kollegin/einen Kunden das Verhältnis von Recherche zu anderen Aufgaben?”
- “Wie viele Taskwechsel habe ich pro Tag eigentlich?”
Gerade die letzte Frage ist sehr interessant, denn bei Leute, die mit Wissen arbeiten und fürs Denken bezahlt werden, ist ein Taskwechsel aufwändig (das ist übrigens auch bei einem Computer so), mehr dazu habe ich hier mal beschrieben.
Es geht mir weniger darum, wieviel Zeit ich arbeite (das lässt sich auf eine oder zwei Stunden hin oder her auch auf einem kleinen Post-It pro Tag festhalten), sondern warum und wie. Kann ich konzentriert längere Zeit an einer Aufgabenstellung arbeiten oder hat ein Tag ein Dutzend Zeilen (da erschrickst Du schon beim Ansehen der Datei, die besten Tage sind die mit wenigen Zeilen)? Verändert sich die Quote von Support zu anderen Dingern für neue Kolleginnen und Kollegen (funktioniert also das “Einlernen”)? All diese und weitere Fragen lassen sich damit beantworten. Als Lehrkraft könnte ich damit auch über mehrere Jahre verfolgen, wie sich Aufwände für ein bestimmtes Fach oder eine bestimmte Klasse verändern.
Ich muss da aber tippen…
Ja, es gibt keine schöne Maske für die Eingabe, wo ich per Methode “Wisch und Tipp” Einträge erfassen kann. Das wird aber durch die Vorteile locker aufgewogen. Jetzt kommt der Trick an der Sache: ich habe oft den Fall, dass ich die Zeiten nicht am Notebook (oder seit Smartphone-Zeiten dort) in die Datei erfasse. Ein kleiner Haftnotizzettel über den Tag und ein Bleistift reichen oder ich spreche das als Audioaufnahme in mein Smartphone oder oder oder…
Am Ende eines Arbeitstages (für den jede und jeder sowie ein eigenes Abschlussritual haben sollte und wenn es nur das Aufräumen des Arbeitsplatzes und das Runterfahren des Rechners ist) wird das in die Datei eingetragen, wenn ich es nicht direkt geschafft habe oder unterwegs war. Das dauert maximal 3-5 Minuten und dann wars das. Der Gewinn durch die flexible Nutzen des Datenmaterials wiegt das alles auf.
Wer programmieren kann: eine Oberfläche für die Erfassung und das Schreiben in eine Textdatei sind Grundlagen der Programmierung. 😉 Habe ich auch zwei Mal gemacht und dann beschlossen, dass Eintragen in eine Textdatei geht einfacher. 🤣
Macht das für Euch, nicht den Arbeitgeber
Eine solche Erfassung des Tagesablaufs dient für mich selbst dazu, mehr über meine Arbeitsweise zu erfahren, auf genügend Auszeiten zu achten, Entwicklungen zu sehen und andere Dinge. Für die reine Erfassung von “ich habe heute so viele Stunden gearbeitet” ist sowie der Arbeitgeber in der Pflicht, ein Mittel zur Erfassung bereit zu stellen. Arbeitszeiterfassung macht jemand idealerweise nicht für den Arbeitgeber, sondern für sich selbst.
Dazu die vielleicht wichtigste Erkenntnis nach 15 Jahren: Text ist immer noch das universelle Interface. Egal, welche Tools kommen, Text geht immer. 😎
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Wallenstein, https://www.projekt-gutenberg.org/schiller/wallens1/wall2101.html ↩︎
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Salus, Peter H., “A Quarter Century of Unix”, Addison-Wesley Professional, 1994, ISBN13: 9780201547771 ↩︎