Iterations-Resilienz

Brauchen Schüler:innen Iterations-Resilienz?

Ich hatte vor ein paar Wochen ein Gespräch mit einer früheren Kollegin, die in ihrer aktuellen Position auch als Ausbilderin tätig ist. Dabei kamen wir auf einen Punkt, der in der Diskussion um neue/zeitgemäße/nenn-es-wie-du-willst Prüfungsformate unserer Meinung nach nicht betrachtet wird: die einmalige Evaluation einer Leistung. “Wir brauchen für Auszubildende mehr Iterations-Resilienz”, waren wir uns einig.

Was ist denn mit diesem seltsamen Begriff gemeint? Heutige Prüfungsszenarien im Schulsystem, egal ob es nun Noten oder eine Einordnung in ein Kompetenzrester sind, bleiben immer einmalige Evaluationen. Zum Termin wird das Ergebnis, dass die Schülerin oder der Schüler abgeliefert hat, bewertet und dann das war’s dann. Für das Schulsystem ein völlig normaler Vorgang. Wird es dann nur eine 4 statt einer 1, dann lief’s eben nicht so gut.

Interessant wird das dann nach der Schule in der Ausbildung bzw. im Berufsleben. Hier gibt es keine Bewertung für ein Artefakt oder eine Arbeit, sondern es geht darum, eine bestimmte Qualität zu erreichen. Ein Präsentation für wichtige Kunden, ein Projektantrag für den Vorstand oder eine Landing Page im Online-Shop für ein neues Produkt, all diese Dinge haben eines gemeinsam: ich kann nicht mit einem “Sorry, war halt nur ausreichend, beim nächsten Mal läuft es sicher besser” zum nächsten Punkt übergehen. Die Präsntation, der Text oder die Landing Page müssen dann einfach besser werden. Solange, bis die gewünschte bzw. erforderliche Qualität erreicht ist.

Hier habe ich bei vielen Auszubildenden, Leuten im Praktikum oder Werkstudentinnen sehr oft erlebt, dass sowas während der Schulzeit meistens gar nicht gemacht wird (aus durchaus verständlichen Gründen). “Ich hab’s doch gemacht, warum muss ich das jetzt nochmal machen oder was ändern?” habe ich viele Male gehört. Nach der sechsten oder siebten Iteration machte sich dann oft Verzweiflung breit. Die Situation, wenn ein Arbeitseergebnis nicht gut genug war, einfach nochmal “back to the drawing board” geschickt zu werden, kennen Schülerinnen und Schüler nicht im Rahmen einer Bewertung.

Die Umstellung von jemand bewertet meine Leistung (und danach ist das durch und die Schulaufgabe wird nicht mehr angesehen) zu ich mache das solange, bis die Anforderung erfüllt ist (weil ich eine miese Landing Page eben nicht den Besuchern des Online-Shops vorsetzen kann, denn die Konkurrenz ist nur einen Browser-Tab entfernt) scheint eine echt harte Aufgabe zu sein. Hier wünsche ich mir, dass diese iterativen Arbeiten eher bzw. überhaupt in der Schule etwas Zeit bekämen. Es ist ja bei Lernenden eben keine persönliche Kritik im Sinne eines “du kannst das nicht”, sondern das schrittweise Erlernen, wie bestimmte Anforderungen erfüllt und Ergebnisse durch Entscheidungsprozesse gebracht werden.

Ein Vorteil gegenüber Prüfungsformaten in der Schule ist es, dass die Personen dabei auch erleben, dass es manchmal nur Feedback und ein paar Anläufe oder Iterationen braucht, um das Ziel zu erreichen. Das ist viel positiver, als ein “Mei, war halt nur eine Vier” zu erhalten. Ein “Schau, was Du in den letzten fünf Durchläufen für eine Qualitätssteigerung erreicht hast” bleibt nicht nur als Erleben von Selbstwirksamkeit und Komeptenzsteigerung im Gedächtnis, sondern im Team wird auch erlebt, dass die allerwenigsten Leute auf den ersten Wurf ein optimales Ergebnis abliefern können.

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