We’re going back – back into time…
Ich habe beim Suchen im Keller etwas gefunden: einen Artikel der Landauer Neuen Presse vom August 1988. Was daran so besonders ist? Es ist ein Bericht der Lokalzeitung über eines unserer ersten Computercamps, die ich zusammen mit zwei Freunden für den Kreisjugendring geplant und durchgeführt habe. Ohne große Unterstützung und mit selbst gefundenen Sponsoren für Hardware, Software und das Freizeitprogramm. Wir waren der Meinung, dass es sich zusammen besser und einfacher lernt, wir alle voneinander lernen und Ideen austauschen können und um den Jungs (es gab trotz “Werbung” in den ersten Camps kein einziges Mädchen) zu zeigen, dass Beschäftigung mit moderner Technik und Neues zu lernen immer auch ein sozialer Prozess ist.
Es waren lange Tage, kurze Nächte und wertvolle erste Erfahrungen als Trainer und ein großer Spaß. Warum ich dann überhaupt dieses vergilbte Blatt hier in einen Blogpost gegossen habe? Weil es sehr schön zeigt, dass die Möglichkeit zum Erwerb informatischer Grundbildung seit 35 Jahren für SuS da ist. Und dass das Bildungssystem diese 35 Jahre ziemlich gekonnt verschlafen hat. Wir haben damals über Auswirkungen der Technik diskutiert, was Software kann und was nicht, wie viel Zeit vor dem Bildschirm sinnvoll ist und ob es sich lohnt, Spieleentwickler zu werden, “weil die Leut’ ja eh viel mehr spielen wollen als arbeiten”, so einer der Teilnehmer. Es braucht nicht viel, was aber essenziell ist und sich in diesen Camps zeigte: wenn es Dinge sind, die Kinder und Jugendliche lernen wollen und sie wissen warum sie das lernen wollen, dann musst Du die Leute bremsen.
Möglicherweise war die Zeit der Heimcomputer Mitte/Ende der 80er auch deshalb so erfolgreich, weil die Zugangschwelle zum Verständnis eines Computers und zum Schreiben von Software erstens viel niedriger war und zweitens genau diese beiden Dinge notwendig waren. Es gab kein Überangebot von “Apps” und Software war teuer. Wir hatten jedenfalls mit unseren selbstgeschriebenen Spielen mindestens ebenso viel Spaß wie Kids heute mit Mario Kart. 😉 Schon damals gab es aber auch sehr gut gemachte Software, so dass sich viele Diskussionen darum drehten, was alle nötig ist, um eine konkurrenzfähige Software zu schreiben. Sogar ein Programm zum Ausfüllen von Zeugnisbögen entstand damals (und seitdem wissen zwei der Jungs und ich, dass wir keine Freunde von Druckertreibern werden 🤣). Aber genug in alten Erinnerungen geschwelgt, hier ist der Text des Artikel.
Mit Feuereifer sind 20 Buben beim Computer-Ferienkurs dabei
Leise Musik hebt an, über den dunklen Hintergrund des Bildschirms scheint die Milchstraße gestreut zu sein, wie eine kosmische Spirale verschlingt in der Mitte ein violetter Sog Sterne und Lichtschleier. “The way of the little dragon”, kündigt der Computer das folgende Spiel an, und Helmut und Alois – beide 14 Jahre alt – werden nun abwechselnd versuchen, die graue Figur, die zu chinesischer Musik vor roten Pagoden über den Bildschirm hüpft, im Karatekampf zu besiegen. Typische Situation, wenn Kinder vor dem Computer sitzen?
Diese Frage werden Armin Hanisch und Hermann Kainz sicher heftig verneinen. Die beiden Studenten unterrichten seit Dienstagmorgen rund 20 Buben, die sich für das Computer-Camp begeistern konnten. Angeboten im Rahmen des Ferienprogramms des Kreisjugendrings, wird der Fünf-Tage-Kurs vom Schullandheim Eichenberg unter der Federführung von Hans Einhellig ausgerichtet. Zielsetzung: Die Teilnehmer sollen lernen, vernünftig mit dem Computer umzugehen. Was die beiden Lehrer ihren Schützlingen vermitteln wollen, umreißt Armin Hanisch folgendermaßen: “Die Buben sollen nicht bloß spielen, sondern auch lernen, den Computer als Werkzeug einzusetzen. Wir wollen ihnen zeigen, wie man Programme schreibt, sie eingibt und anwendet - ob es sich darum handelt, Schulnoten zu speichern oder Schiffe versenken zu spielen”.
Zehn hauseigene Personalcomputer stehen zur Verfügung, doch viele Buben haben ihren eigenen Rechner mitgebracht. Fachmännisch sitzt der elfjährige Andreas zwischen seinem neuen Drucker, seinen Disketten und dem “floppy drive”, und gibt mit geübten Fingern Befehle ein. Schon zum zweiten Mal ist der schmächtige Junge mit der Stupsnase mit dabei, diesmal, um zu lernen, wie er Spiele einprogrammieren und sein bisheriges Wissen besser einsetzen kann. Sechs Stunden täglich Training für Anfänger und Fortgeschrittene stehen auf dem Programm, doch auf Spiele und Bewegung zum Ausgleich legen die Betreuer ebenso viel Wert. Denn sie wissen: Die Kinder sind mit Begeisterung bei der Sache. “Die Erfahrung hat gezeigt, daß sie abends fast nicht mehr vom Computer weg zu bringen sind”, stöhnt der 24jährige Hermann Kainz, der “nebenbei” linguistische Informationswissenschaften studiert.
Doch dem möchte man entgegenwirken. “Ein Kind von 13 oder 14 Jahren sollte noch wissen, wie man ein Lagerfeuer macht”, so die Überzeugung von Armin Hanisch. “Deshalb sagen wir den Teilnehmern auch immer wieder: Die Ideen bekommt man nicht am Computer. Anregungen muß man sich von außerhalb holen.” Und zur Unterstützung kann man sich ja auf professionelle Programmierer berufen denn die, so versichert Hanisch, haben alle noch ein Hobby.
“Wie dadst’n du jetzt a Sprechblas’n macha?” Ein lustiges Gesicht hat der dreizehnjährige Harald schon auf den Bildschirm gezaubert. Doch nun muß er sich mit seinem Freund Ulrich beraten. Zu Hause beschäftigt sich Harald mehr mit Rechenprogrammen. “Ein Englischprogramm hab ich jetzt auch eingegeben”, erzählt der Dreizehnjährige, dessen aufgewecktem Blick durch die Brillengläser nichts entgeht. “Damit lerne ich Vokabeln.”
Und wieviel Zeit verbringen die Nachwuchs-Hacker zu Hause vor ihren Rechnern? “Jeden Tag ein bis zwei Stunden”, schätzt der elfjährige Stefan, “wenn ich gut drauf bin, auch länger.” Andreas sitzt nicht täglich vor dem flimmernden Schirm. Zeit zum Schwimmen, Radfahren und Freunde besuchen möchte er auch haben.
“Wenn ich eine Idee habe, wenn ich was sehe, dann möchte ich probieren, das in ein Programm umzusetzen. Wenn’s geht, werde ich jetzt für meine Eltern Vorlagen für die Fahrpläne ausdrucken lassen” hat sich der Sohn eines Busunternehmers vorgenommen. Mittlerweile läuft im holzgetäfelten Raum der Unterricht: Armin Hanisch erklärt ein Programm, mit dem der Rechner als Stoppuhr verwendet werden kann. Die Buben sind konzentriert, leises Klicken der Tasten ist die Antwort auf jeden neuen Befehl, den Hanisch auf die Folie des Overheadprojektors schreibt.
Im Nebenraum erklärt Hermann Kainz seinen staunenden Zuschauern die Grundlagen der “Wundermaschine”. “Das ist die schönste Woche im ganzen Jahr”, kommentiert Kainz seine Arbeit mit den Kindern. Und sein Kollege, der selbst seit 9 Jahren intensiv am Computer arbeitet, sieht es so: “Die Arbeit mit den Kindern ist spannend und anspruchsvoll, denn sie gehen unbelastet an die Materie heran.”
Und mit einem Lächeln fügt er hinzu: “Ohne ein bißchen kindlichen Spielbetrieb geht’s nicht. Deswegen tun sich Erwachsene auch so schwer – denn sie sind oft schrecklich phantasielos…”
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