Ein Rezept, das keines ist.
Ich habe heute Abend wieder einmal “pasta e fagioli” zum Abendessen gekocht. Ins Deutsch übersetzt bedeutet das “Nudeln und Bohnen”. Eine Möglichkeit, wie so etwas aussieht, zeigt das folgende Bild aus meiner Küche:
Daraufhin fragte mich @NoRegerds auf Twitter:
Da die Beantwortung der Frage nicht einfach ist (weil es das Rezept gar nicht gibt), habe ich gleich eine Idee für einen Blogpost gehabt. Wer also etwas über Kirchtürme, aus der Not eine Tugend machen und Stärke von Nudeln erfahren möchte, ist zum Weiterlesen herzlich eingeladen!
Wie der Name sagt, ist das Kriterium für das Gericht exakt das: es müssen Bohnen und Pasta drin sein. Diese Feststellung ist auch gleichzeitig der Beginn einer hochinteressanten Reise. Denn ein Rezept für paste e fagioli gibt es nicht. Oder doch, es gibt Hunderte, ja Tausende. Und je einfacher, desto ursprünglicher.
Die »cucina povera«
Wie so viele andere italienische Gerichte der “cucina povera” (der Küche der bäuerlichen Landbevölkerung) verlieren sich auch die Ursprünge von “pasta e fagioli” im Dunkel der Küchengeschichte. Jedes heute “traditionelle” Gericht war einmal ein Experiment und überhaupt nicht eine lang gehegte kulinarische Tradition. Manchmal ein Experiment aus Neugierde, in sehr vielen Fällen aber schlichte Notwendigkeit. Die Not in Form von wenig Auswahl und wenig Möglichkeiten ist eine große Motivation für Experimente. Nicht umsonst gibt es den alten Spruch “*aus der Not eine Tugend machen”. Was heute als hip, nachhaltig und modern gilt – nichts verschwenden, regionale und saisonale Zutaten, keine überladenen Zutatenlisten – ist uralt und schlichte Notwendigkeit, wenn Du eine Familie satt bekommen musst und Lebensmittel knapp und nur aus dem eigenen Umfeld zu bekommen sind. Auch die bäuerliche Küche Italiens orientierte sich deshalb schon immer an lokalen und saisonal verfügbaren oder lange haltbaren Produkten und einer einfachen Zubereitung. Wo immer möglich, wurde aber damals bereits auf eine möglichst hohe Qualität der Lebensmittel geachtet (logisch, was nicht schlecht ist oder wird, musst Du nicht wegwerfen).
Egal, ob Pizza, Pappa al pomodoro, Polenta, Panzanella oder eben Pasta e Fagioli: alle diese Gerichte der “cucina povera” (wörtl. “arme Küche”) sind nicht arm, sondern das Optimum, dass sich aus dem vorhandenen Angebot an Lebensmitteln machen ließ. Arm ist hier auch nicht abwertend gemeint, sondern im Sinne einer Küche, die es sich im Gegensatz zu den damaligen Eliten nicht leisten konnte, Lebensmittel zu verschwenden und keinen Zugriff auf exotische Zutaten hatte. So gesehen passt der Begriff “cucina contadina” (Küche der Bäuerin) viel besser.
Campanilismo culinario
Der Begriff “Campanilismo” ist nur schwer ins Deutsche zu übersetzen. Die “Orientierung am eigenen Kirchturm als Zentrum” oder die oft abwertend gelesene “Engstirnigkeit"trifft es nicht. Der Begriff “Lokalpatriotismus” schon eher. Ich höre in Italien oft “la terra mia”, eine auch und gerade auf dem Gebiet des Kulinarischen mit Inbrunst gepflegte Überzeugung, dass es im eigenen Dorf (in größeren Städten im eigenen Viertel) die besten Früchte, die frischesten Fische, einzig und allein hier zu findende Spezialitäten gibt. Was das für ein Gericht wie pasta e fagioli, dessen Ursprünge sich im Dunkel der Geschichte verlieren, bedeutet, ist leicht vorstellbar.
Nicht einmal der Name ist ja einheitlich: während es im toskanisch geprägten Hochitalienisch “paste e fagioli” heißt, verwenden die Einwohner Neapels den Namen “pasta e fasule”, in Sizilien nennt sich das Gericht “pasta e fasola” und die Römer (immer bemüht, sich vom Rest Italiens abzuheben) werfen die Bohnen ganz raus und verwenden Kichererbsen, weshalb Du in Rom besser “pasta e ceci” bestellen solltest.
In Kochbüchern (oder auf den italienischen Speisekarten) findet sich “pasta e fagioli” denn auch als “piatto tipico” (regionale Spezialität) in Latium, Kampanien, Lombardei, Toskana, Veneto, im Piemont und ich habe bestimmt mindestens eine Region vergessen. 😉 Wie will ich da ein einzelnes Rezept angeben? “Veramente impossibile!” würde jede italienische Mamma oder Nonna bekräftigen, nur um dann zu sagen, dass die Leute im Nachbardorf ein paar Kilometer weiter ja nicht die geringste Ahnung haben, wie die “richtige” pasta e fagioli zubereitet wird. Schließlich gibt es hier das beste Olivenöl, die besten Bohnen und von den Tomaten wollen wir gar nicht reden, denn nur hier ist der Boden und das Klima ein Geschenk der Natur. Wie ich überhaupt auf die schräge Idee kommen konnte, in der Stadt so etwas zu bestellen (“alles voller Touristen, alles kommerziell, keine Küchentradition und überhaupt” 😉).
Also, kein Rezept?
Aber nicht doch, wer wird denn so schnell aufgeben? Gerade das ist ja das Schöne an Italien? Ich habe pasta e fagioli zwischen Verona und Tropea gegessen und es ist faszinierend, wie groß die kulinarische Bandbreite dieses einen Gerichtes ist. Das ist auch der Grund, warum ich solche Speisen nicht nach einem Rezept, sondern mittlerweile nach Gefühl und Stimmung koche. Eine pasta e fagioli wird im Winter (für mich das wirklich kein Sommergericht, dann solltest Du lieber mal “Panzanella”, einen Brotsalat, versuchen. Und nein, es gibt da nicht weniger regionale Rezepte und Unterschiede je nach Köchin) anders schmecken als im Frühjahr oder im Herbst.
Viele Touristen lernen im Urlaub eine Variante kennen und denken dann, das ist das Rezept für pasta e fagioli, dabei ist das eben nur ein Rezept. Fragt ruhig nach, woher das Rezept stammt, von der Nonna oder aus einem alten Kochbuch, fahrt ein paar Kilometer (oder eine Provinz oder eine Region) weiter und probiert da eine neue Variante. Es wird jede Mal anders aussehen, andere Zutaten haben, aber sehr, sehr wahrscheinlich immer umwerfend gut schmecken!
Dazu kommen Dinge wie die Zubereitung, die ich der Gegend um Bologna (es gab oder vielleicht gibt es noch da in Anzola nell’Emilia ein verstecktes kleines Ristorante, die machen eine wahrhaft göttliche Version von pasta e fagioli) gelernt habe: die Nudeln werden zusammen mit den bereits eingeweichten Bohnen oder denen aus der Dose und den anderen Zutaten und nicht separat gekocht. Dadurch bleibt die Stärke der Pasta, die sonst im Kochwasser verschwinden würde, erhalten und zusammen mit dem nötigen Umrühren (da sich die Bohnen sonst unten absetzen und anbrennen) wird das Ergebnis deutlich sämiger, so dass es meistens unnötig ist, irgend etwas zu pürieren. Apropos Konsistenz: in Verona war das Gericht deutlich suppiger, in Tropea sehr dickflüssig. Im Süden kommt fast immer Pencetta dazu. Andere Rezepte enthalten Tomaten (gestückelt oder püriert, darüber führen zwei italienische Nonnas gerade sicher eine hitzige Diskussion am Markplatz in Greve 😄), andere verwenden Gemüsefond. Ich glaube, es wird langsam klar, worauf ich hinaus will…
Sobald das geklärt ist, kommt die Wahl der Pasta. Bestimmte Sorten gehen gar nicht und Du willst nicht, dass sich eine Gruppe kochender italienischer Hausfrauen plötzlich einig ist und Dir klar macht, was Du da gerade getan hast. 😆 Kurze, kleinere Sorten sind meist OK, mit Ditalini Rigati (s. Bild oben) bist Du eigentlich auf der sicheren Seite. Hipster können gerne das Format “Cubetto” (quadratisch statt rund, oho!) ausprobieren. Keine Pancetta? Dann eben nicht, manchmal gab es auch nur Zwiebeln und gerade keine Karotten, aber dafür Tomaten. In all diesen Dingen zeigt sich die Flexibilität der “cucina povera”: es wird genommen was da ist und bis jetzt kam immer noch etwas raus, das schmeckte, davvero? Das Thema Borlotti-Bohnen, Cannellini oder Favas schneide ich erst gar nicht an. 🤣
Ein Rezept unter vielen
Ich nenne hier mal eines meiner Rezepte für pasta e fagioli und dann einige Link zu anderen Varianten und danach kommt eine Version für Leute, die sich erst an das Thema heranwagen und auch nicht viel Zeit haben. Damit lernst Du die oben angesprochene Spannbreite am besten kennen.
- 100-150g Pancetta würfeln
- Eine große Zwiebel fein würfeln
- Eine oder zwei Karotten fein würfeln
- In einem Suppentopf mit Olivenöl anschwitzen, bis die Zwiebeln glasig sind
- Einen kleine Zweig Rosmarin und eine Knoblauchzehe (mit der Hand platt schlagen) dazugeben, alternativ etwas italienische Kräuter verwenden
- Mit 400ml Gemüsefond ablöschen
- Etwa 350-400g eingeweichte weiße Cannellini-Bohnen dazu geben (oder fertig aus der Dose)
- Eine kleine Dose Tomaten (ca. 250-300g) dazugeben
- Wer es sämiger möchte, kann einmal kurz (einige Sekunden) mit dem Stabmixer durchgehen
- Ca. 150g Ditalini Rigati hinzufügen
- Nochmal 200ml Wasser dazu, grob abschmecken
- Kochen, bis die Pasta weich ist, abschmecken
- Mit Petersilie (glatte!) garnieren
Sieht dann so aus:
Die “faule” (aber ebenfalls sehr gute) Variante
Jetzt kommt eine Variante für die Studenten- oder Single-Küche oder wenn Du erst mal eine Idee haben möchtest, wie pasta e fagioli schmeckt.
- Eine große Zwiebel würfeln
- 100g Frühstücks-Bauchspeck aus dem Supermarkt
- Etwas (wenig, je nach Geschmack) italienische Kräuter dazu
- In Olivenöl anbraten, bis die Zwiebeln glasig sind
- Nach Wunsch mit etwas Weißwein ablöschen (völlig optional)
- Ein Glas Gemüsefond (400ml) dazu
- Ein Glas “Guazzabuglio” der Fattoria LaVialla dazu (s.u.)
- Eine Dose “Five Beanz” von Heinz dazu geben
- 150g kurze Nudeln (Ditalini Rigati oder Mini Penne Rigate oder Treccine) dazu
- Nochmal ca. 200ml Wasser dazugeben
- Kochen, bis die Nudeln weich sind (je nach Pasta 6-10 Minuten)
Guazzabuglio ("Durcheinander, Mischmasch”) ist eine Mischung von geschmortem toskanischem Gemüse der Fattoria LaVialla (mehr Infos hier) aus Paprikaschoten, Tomaten, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, fertig abgeschmeckt im 500g Glas und eine Art Wunderwaffe, wenn es in der italienische Küche mal schnell gehen muss (als Beilage, für Reis, als Basisgemüse wie hier, für die Pizza). Nein, ich bekomme für den Link nicht und das ist ein normaler Link, ich bin nur ein zufriedener Kunde.
Das Ergebnis sieht dann anders aus als oben, ist aber ebenso lecker!
Wie gesagt, wie bei anderen Gerichten habe ich kein Rezept mehr, sondern “mache aus der Not eine Tugend” und nehme das, was da ist, achte dabei aber immer darauf, dass die Zutaten möglichst frisch und gut sind. Auch das ist aber kein Dogma, wie die Variante 2 zeigt. Wenn es die Umstände erfordern und kein Bauernhof in der Nähe ist, dann eben aus der Dose. Wenn das schmeckt, kannst Du Dich auf die Reise begeben, Deine persönliche Variante zu finden (warum soll der Campanile nicht auch mal in der Studentenbude stehen?)
Weitere Rezepte
Jetzt beginnt das Experimentieren: andere Bohnen, andere Pasta (z.B. Casarecce, Treccine)… Oder eines dieser Rezepte ausprobieren:
- https://www.chefkoch.de/rezepte/2126051342085110/Pasta-e-Fagioli.html
- https://web.archive.org/web/20160702101841/http://www.tuscanfoodie.com/2011/11/pasta-e-fagioli-comfort-food-la-italian.html
- https://ricette.giallozafferano.it/Pasta-e-fagioli.html
- https://www.tavolartegusto.it/ricetta/pasta-e-fagioli-la-ricetta-originale-napoletana/
- https://www.cucchiaio.it/ricetta/ricetta-pasta-fagioli/
Was wirklich wichtig ist
Nicht die exakten Zutaten, auch nicht eine bestimmte Sorte von Bohnen oder die genaue Menge Wasser. Wirklich wichtig ist es, Spaß am Ausprobieren von Gerichten und Rezepten zu haben, neugierig zu bleiben und aus den vorhandenen Mitteln das Beste zu machen. Natürlich ist es super, alles frisch und alles selbst zu machen, von den Bio-Bohnen bis hin zu selbst gezogenen Karotten oder Petersilie. Wenn das aber nicht möglich ist, dann kann es auch mit vorbereiteten Zutaten (aus der Dose) gelingen, gutes Essen zu haben. Nicht alle haben die Zeit und Mittel, vorzukochen, im edlen Bioladen zu shoppen oder aus einem halben Dutzend Bohnensorten wählen zu können. Damit schließt sich der Kreis zur “cucina povera” der bäuerlichen Landbevölkerung von früher. Wer weiß, wie viele Rezepte uns verloren gegangen wären, wenn die Hausfrau mitten in den Abruzzen einfach den Lieferdienst hätte anrufen können… 😉 – ich hoffe, jetzt hast Du beim Lesen Appetit bekommen und siehst italienische Rezepte aus einem etwas anderen Blickwinkel.
Kommentare
2021-12-20 von Unbekannt:
Lieber Armin, ich danke dir für die Einblicke in dein kulinarisches Universum! Und dank der sehr überzeugenden Botschaft muss ich heute noch nicht mal einkaufen. Buon appetito, amico!