Raus aus der Komfortzone!

Raus aus der Komfortzone

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“15000 Fuß, auf geht’s”, ruft mir jemand ins Ohr. Der Wind pfeift durch die geöffnete Seitentür des Flugzeugs. Ich blicke aus viereinhalb Kilometern Höhe auf die sonnige niederbayerische Landschaft. “Hepp”, mein Tandempilot klopft mir auf die Schulter und wir rutschen zur Tür. Ich bin ganz eindeutig weit außerhalb meiner Komfortzone in diesem Sommer 1994. Etwa zehn Minuten später bin ich wieder auf dem Boden und immer noch voller Adrenalin.  Aber ich habe eine neue Herausforderung gemeistert und mich verändert.  Mit breitem Grinsen frage ich meinen Sprungbegleiter: “wann kann ich nochmal?”

Nicht immer erfolgt Veränderung (sieh an, es gibt ein deutsches Wort für dieses so oft genutzte „Change“) und das Verlassen der Komfortzone so drastisch wie in diesem Sommertag vor über 25 Jahren. Aber es gibt diesen schönen Spruch, der ebenso banal wie wahr ist: “die einzige Konstante ist die Veränderung”. Und nicht immer bin ich in der Lage, den Zeitpunkt zu kontrollieren, an dem ich die Komfortzone verlassen und mich auf eine Veränderung einstellen muss.

Niemand verändert sich gerne andauernd. Zumindest nicht bewusst. Ein System sucht immer den Zustand der niedrigsten Energie. Hier kenne ich mich aus, ich habe viel Zeit und Energie investiert, warum soll ich das alles aufgeben? Ich richte mich in meinem kleinen mentalen Garten ein und nach und nach wachsen die Hecken immer höher.

Meine Komfortzone wird mir daher erst bewusst, wenn ich etwas außerhalb meiner Komfortzone registriere, eine Veränderung, ob geplant oder ungeplant, ansteht. Veränderung ist immer auch ein Risiko und Veränderung erzeugt immer Unsicherheit. Es gibt einige menschliche Urängste, die uns in der Komfortzone halten.

  • Die Angst vor dem Misserfolg – findet die Gruppe keine Nahrung, übersteht sie die nächsten Wochen nicht
  • Die Angst vor Anstrengung – Sport wäre damals eine verrückte Idee, jede Energie wird gespart, bis sie benötigt wird
  • Die Angst vor Zurückweisung – ohne die soziale Gruppe überlebt niemand längerfristig

Der Anstoß zu Veränderungen bzw. der Weg aus der Komfortzone kann von innen oder von außen kommen. Von außen sind das meist ungeplante Ereignisse, Rückmeldungen positiver oder negativer Art oder schlichtweg “externe Motivation”, also Zwang. Ebenso gut kann eine Veränderung auch von innen kommen, durch Neugierde, als Forderungsdiskrepanz (Unterforderung ist ebenso schlimm wie Überforderung) oder aufgrund einer Veränderung von Zielen im Leben. Ich erzähle mal was zu dieser Kategorie

Ich habe mein Abi Anfang der 80er in Bayern gemacht, mit einem Leistungskurs in Englisch und einem in Biologie. Für die zwei Jahre der Kollegstufe hatten wir einen Biologie-Lehrer, bei dem «engagierter Pädagoge, der für sein Fach brennt» eine gloriose Untertreibung wäre. Ich habe Chromatographieren gelernt, das Anfertigen von Mikrotomschnitten und konnte damals brauchbare Mikroskopie-Präparate anfertigen. Für meine Abschlussarbeit kontaktierte ich Unis in Großbritannien, den Staaten und die NASA. Das Biologie-Studium war also vorgezeichnet.

Ich bin kein Biologe geworden. Trotz Kontakte zur Uni auf Hawaii bin ich heute kein Ozeanologe oder Walforscher. Ich habe nicht mal ein Diplom in Biologie. Aber ich habe meine Komfortzone verlassen und ein anderes Ziel anvisiert. Was war passiert? Heute blicke ich auf fast 40 Jahre in der IT zurück und kann immer noch sagen, «it’s a hobby I get paid for». Während der Zeit am Gymnasium tauchten vier klobige Metallkisten auf, die aussahen, als wären Sie aus dem Besprechungsraum des Raumschiffs Enterprise geklaut: die ersten Computer der Schule. Eines meiner ersten Programme war ein Konverter, der aus einer DNA-Sequenz eine Aminosäurekette machte. Das fiel mir leicht, ich war neugierig und wollte noch viel mehr wissen, wie diese Dinger funktionierten.

Diese Veränderung funktionierte, weil ich wusste, dass es eine sinnvolle Veränderung war und mich aktiv dafür entschied.  Nur wenn ich verstehe, Warum ich etwas tun soll, kann ich eine Veränderung auch akzeptieren bzw. als für mich positiv empfinden. Alle andere ist nur Befehlsausführung ohne Sinn. Funktioniert zwar auch, ist aber in keiner Weise für unsere heutige komplexe Umwelt geeignet. Ohne einen Sinn darin zu sehen, sind neue Prozesse keine Veränderung, sondern nur ein neues Ritual vor einem neuem Altar.

Ein “Raus aus der Komfortzone” funktioniert daher dann gut, wenn ich der Meinung bin, die Umstände dieser Veränderung zu kontrollieren und nicht ohnmächtig dabei zusehen muss, wie ich aus meiner Komfortzone geworfen werde.  Der Grundsatz “Handle oder werde behandelt” hat daher durchaus seine Berechtigung. Wenn ich das Verlassen der Komfortzone akzeptiere, kann ich mich an der folgenden Haltung orientieren: “Was soll das heissen - die Umstände? Ich bestimme, welche Umstände herrschen!” Klingt ziemlich selbstbewusst bis größenwahnsinnig? Naja, stammt auch von Napoleon Bonaparte, besitzt aber einen wahren Kern. Solange ich noch die Kontrolle habe, ist die Entscheidung leichter, etwas Neues zu wagen.

“Ich bin doch kein Verkäufer!” meinte ich, als ich als Consultant für Visualisierungslösungen auch Kunden gewinnen sollte. Das war eindeutig außerhalb meiner Komfortzone. Ich wollte doch keine Verkaufs-Show auf einer Konferenz abhalten. Was mir damals geholfen hat, war ein Gespräch mit einem Kollegen, der das schon einige Zeit tat. Er schlug mir einen Perspektivwechsel vor: “Schau, Du hältst da keine Verkaufs-Show ab. Du präsentierst dem Publikum eine Lösung für ein Problem, das viele der Besucher haben.” Solche Perspektivwechsel können wirklich hilfreich sein.

Trotzdem braucht Veränderung Zeit, um mich in der neuen Umwelt zu orientieren und wieder Routine zu entwickeln. Die meisten kennen das vom Auto fahren, wenn sie sich an die ersten Fahrstunden erinnern. Auch das war “Change” und da raucht die Rübe, wenn Du auf Gas, Lenkung, Schaltung, den Verkehr und dann noch die Anweisung vom Fahrlehrer hören sollst. Nach 20 Jahren Führerschein läuft das “halb-automatisch”.  Ebenso ist mit Veränderungen. Zu viel Veränderung ist eine Überforderung und Du landest statt in der Wachstumszone in der Panikzone. Die mentale Balance muss erhalten bleiben, sonst dauert es lange, bis Du bereit bist für die nächsten Veränderungen.

Ein Beispiel war der Wechsel zu Hitachi Semiconductors. Vorher war ich im deutschen Mittelstand oder als Freiberufler unterwegs. Jetzt hatte ich mir vorgenommen, den nächsten Schritt zu gehen. Ein international agierender japanischer Konzern, Firmensprache Englisch, multikulturelle Teams, eine andere Mentalität und dazu nicht nur Windows, sondern Macs – in japanisch!

Das war ein Sprung ins kalte Wasser, aber er hat sich gelohnt. Rückblickend, die ersten Monate waren nicht gerade langweilig. Was mir beim Hineinfinden in die Kultur bei Hitachi half, war auch der Fokus darauf, Dinge nacheinander und in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit anzugehen. Wie Steve Jobs schon sagte: “Fokus dreht sich darum, Nein zu sagen.”

Wichtig ist es meiner Meinung nach, außerhalb der Komfortzone einen “Pfadfinder” oder “Begleiter” zu haben. Ja, nicht nur für außerhalb der Komfortzone, sondern auch diese Begleitung sollte außerhalb der Komfortzone kommen. Denn das eigene, enge Umfeld bestätigt sehr oft die eigenen Zweifel oder die Angst vor Veränderungen oder hat keine Erfahrungen in diesem neuen Bereich außerhalb meiner Komfortzone.

Ist das aber der Fall, dann hat das Verlassen der Komfortzone auch neue Möglichkeiten:

Du gewinnst Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein Du entdeckst neue Stärken und kannst diese trainieren Du lernst, den Status Quo zu hinterfragen Es eröffnen sich neue Wege eröffnen und Möglichkeiten

Die Herausforderung auf dem Weg dahin ist der Mut des ersten Schrittes in eine neue Richtung, die ich vorher noch nicht eingeschlagen habe, auf einem Weg, den ich noch nicht gegangen bin, und bei dem das Ziel und der sich daraus ergebende Gewinn noch unklar sind.

Das ist aber “Lernen”.

Kann dann aber aus der “Last der Veränderung” eine “Lust an Veränderung” werden?

Bei einer Microsoft-Entwicklerkonferenz Ende der 90er in Zürich sollte ein Kollege einen Vortrag halten, den ich mit ihm erstellt hatte. Ungefähr zehn Minuten vorher kommt mein Chef zu mir und meint aufgeregt: “der steht noch im Stau, Du musst den Vortrag halten”. Weg war sie, die Komfortzone. Es sitzen ja nur 900 Entwickler im Publikum, von denen bestimmt jede und jeder deutlich besser programmieren kann als ich, was kann also schief gehen? Es lief ganz gut, weil ich die Veränderung annahm. Und über die Jahre als Consultant und Trainer hatte ich trainiert, Veränderungen anzunehmen und flexibel zu bleiben.

In dieser Welt, in der reines Faktenwissen nahezu sofort und überall greifbar ist, kommt es darauf an, Kompetenz darin zu erwerben, Entwicklungen und Veränderungen einordnen zu können, also Problemlösungs-Kompetenz und nicht das Abarbeiten von Rezepten intus zu haben. Die wichtigste Fähigkeit ist nicht, zu wissen, wie ein bestimmtes Problem gelöst wird, sondern zu wissen, wie man mit einem Problem umgeht, dass man noch nie zuvor gesehen hat.

Machen wir also das, was wir als Menschen schon immer gemacht haben: den konstanten Wandel mit Gelassenheit und Mut akzeptieren.

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