Risky Business — Projektrisiken

Projektrisiken

Wenn Sie im Web zum Thema »Projektrisiken« oder »Risikomanagement« recherchieren, finden Sie garantiert jede Menge von Matrices, die eine Klassifizierung von Projektrisiken veranschualichen. Ein Beispiel zeigt der nachfolgende Screenshot. Dieser Blogpost ist einer aus der Kategorie »note to self«, da mich dieses Thema aktuell beschäftigt und ich auch einige Erfahrung aus den letzten Jahren Projektgeschäft aufschreiben möchte, warum ich mit der üblichen Ampeldarstellung nicht zufrieden bin.

Risiko-Beispiele

Umgang mit Risiken

In vielen Fällen wird eine Kategorisierung der Projektrisiken dargestellt, aus der sich der Umgang mit Projektrisiken ableiten lässt.

Handling risks

  • Accept — Das Risiko akzeptieren, da das Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Schaden gering ist.
  • Allow — Projekt kann fortgesetzt werden, für diese Risiken sollte aber eine Gegenmaßnahme vorhanden sein.
  • Mitigate — Nach Möglichkeit diese Risiken vermeiden, entweder Wahrscheinlichkeit oder Schaden reduzieren, darf nicht unbehandelt bleiben.
  • Avoid — Auf jeden Fall vermeiden, da diese Risiken bei Eintritt sehr wahrscheinlich einen Projektabbruch zur Folge haben würden.

Das ist eine nette Darstellung, ich bin damit aber aus zwei Gründen nicht zufrieden. Erstens ergibt sich das auch für einen Neuling im Projektmanagement von selbst, wenn das Produkt aus Eintrittswahrscheinlich und Schaden betrachtet wird. Ein geringer Schaden, der noch dazu eine geringe Eintrittswahrscheinlich besitzt, wird normalerweise nicht zum Abbruch des Projekts führen. Zweitens hilft diese Darstellung einem Einsteiger ins Projektmanagement nicht dabei, eine bessere Risikoanalyse oder ein besseres Risiko-Management zu betreiben, da keine Aussagen über die »Risiko-Qualität« getroffen werden.

Die Farben der Magie

Ein kurzer Exkurs zu vielen der auch im obigen Screenshot ersichtlichen Matrices: ich finde die Farbwahl »suboptimal«. Farben tragen eine Bedeutung und transportieren Emotionen. Diese sind kulturell unterschiedlich. So ist Rot in China oft die traditionelle Hochzeitsfarbe, während Weiß immer noch als Trauerfarbe gilt. Mit der Ausbreitung westlicher Kulturpräferenzen ändert sich das allerdings langsam. Die Bedeutung der »Ampelfarben« Rot, Gelb und Grün ist allerdings weltweit mittlerweile die gleiche. Daher wird ein Grün bei solchen Statusanzeigen immer mit »Go« gleichgesetzt und so weiter.

In einer Matrix mit Projektrisiken (deren Eintritt tunlichst zu vermeiden ist) sollte daher die Farbe Grün niemals vorkommen. Denn ein Risiko für ein Projekt bleibt ein Risiko. Wenn es so klein bzw. der eintretende Schaden so gering ist, dass es ein »Weiter So!« nicht gefährdet, dann sollte dieses Risiko unter Umständen gar nicht erst in die Liste der Projektrisiken aufgenommen werden. Grau, Blau oder andere Farbtöne sind hier wesentlich besser geeignet.

Die Ecke »oben rechts« (also hohe Eintrittswahrscheinlichkeit und hohes Schadensrisiko) sollte auch nicht nur einheitlich Rot eingefärbt werden, um Einsteigern im Projektmanagement hilfreich zu sein. Für erfahrene Projektmanager braucht es die Farben sowieso nicht mehr, diese haben eine solche Matrix im Kopf. Alle anderen profitieren von etwas mehr Arbeit bei der Erstellung solcher Grafiken.

Abgrenzung Risiko

Im Projektmanagement wird oft und gerne mit dem Begriff des »Risikos« umgegangen. Die Definitionen innnerhalb der Literatur sind aber unterschiedlich. Hier sei auf die entsprechende Literatur verwiesen. Interessant an dieser Stelle (und später auch in meiner Version der Risiko-Matrix relevant) ist die Abgrenzung des Risikos selbst.

Wenn ich die Wahrscheinlichkeit abschätzen kann, mit der ein Risiko eintritt, aber nicht exakt die Schadenswirkung, dann ist das ein »Risiko«. Kenne ich aber nicht einmal die Wahrscheinlichkeit, dann ist es schlicht »Ungewissheit«. Immerhin ist mir aber bewusst, dass es diese Ungewissheit gibt. Der ehem. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist unter anderem für sein Zitat von den »unknown unknowns« bekannt. Dabei handelt es sich im Prinzip um die folgende Matrix:

  Wissen Unwissen
Bekannt bekanntes
Wissen
bekanntes
Unwissen
Unbekannt unbekanntes
Wissenn
unbekanntes
Unwissen

Die Erstellung einer Risiko-Matrix bewegt sich naturgemäß immer in der ersten Zeile. Ein »unbekanntes Wissen« ist genau das: Kenntnisse, die einem nicht bewusst sind und daher auch bei bewusster Planung nicht einbezogen werden (sei es, weil sie als so selbstverständlich erachtet werden, dass nicht darüber nachgedacht wird oder weil sie wirklich im Unterbewusstsein schlummern — das ist etwas, was dann oft als »Intuition« bezeichnet wird). Gefährlich sind die »unknown unknowns«, also die Risiken und unbekannten Störfaktoren, von denen man gar nicht weiß, dass sie existieren. Dies führt bei manchen Projekten zu »interessanten Überraschungen«, um es einmal vorsichtig auszudrücken…

Zum Abschluss noch eine Angrenzung, die weiter unten vor allem für die Klasse der »WTF-Risiken« gilt. Wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit mehr oder weniger 100% ist, dann ist das eigentlich kein Risiko mehr (deshalb auch die Bezeichnung als WTF-Risiko 😉), sondern dann handelt es sich um eine Umfeldbedingung, die von vorneherein in die Planung des Projekts einbezogen werden sollte.

Meine Version

Genug der vielen Worte, wie sieht denn mein Ansatz aus, den ich in einer Schulung für Projektmanager verwenden würde?

Risikoklassen

Andere Farben

Es ist sofort ersichtlich, dass da nichts «Grün» ist. Risiken im Projekt sind nichts, dass mit beruhigendem «Alles in Ordnung»-Grün dargestellt werden sollte, daher habe ich einen Blauton gewählt. Grau wäre natürlich ebenfalls eine Möglichkeit gewesen. Über Geld und Orange geht es dann ins bekannte Rot, das letzte Element der Matrix ist aber (wie das erste der geringen Risiken) in einem anderen Farbton gehalten. Mehr dazu gleich. Zusätzlich gibt es noch zwei weitere andersfarbige Felder in der Matrix. Alle Farbtöne sind etwas gedeckter und nicht die Grundfarben. Wer hierzu mehr lesen möchte, findet hier einen hochinteressanten Blogpost.

Rot ist nicht gleich Rot

Der zweite Unterschied ist die Klassifikation, die sich nicht mit dem einfachen Drei-Farben-Schema genügt, aber dafür mehr Informationen und Lernideen liefert. Ja, ich habe die Begriffe absichtlich Englisch gewählt. Wer im Projektmanagement arbeitet, bekommt es (wie in fast allen Bereichen der modernen Welt) früher oder später mit englischen Informationen zu tun. Dann müssen sowieso Kenntnisse der Sprache vorhanden sein. Zusätzlich erleichtert diese Klassifikation Lernenden mit anderer Muttersprache das Verständnis. Fangen wir bei den »geringen« Risiken an und arbeiten uns dann »hoch«

Really?

Hier werden oft Risiken platziert, die »vernachlässigbar« sind. Das bedeutet, das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensgröße ist so klein, dass die Durchführung des Projekts dadurch kaum gestört wird. Deswegen auch die Bezeichnung »Really?«, da zu hinterfragen wäre, ob es sich dabei überhaupt um Risiken handelt, die zu dokumentieren sind.

Pot Hole

Bei den »Pot Holes« (“Schlaglöchern”) handelt es sich um eine Klasse von Projektrisiken, die den Ablauf eines Projekts zwar stören, aber nicht notwendigerweise hinsichtlich Ressourcenbedarf oder Ergebnis schädigen. Diese Risiken sind im Gegensatz zur Kategorie »Really?« zwar nicht mehr vernachlässigbar, aber es sollte dafür mit zunehmender Projekterfahrung eine Art Standardbehandlung geben. Für Neueinsteiger im Projektmanagement schwieriger ist eher die Abgrenzung »nach oben« zur nächsten Klasse von Risiken. Denn ohne Erfahrung oder genauem Überblick über die Projekt-Domäne ist es schwierig, zu entscheiden, wann eine Eintrittswahrscheinlichkeit eher nicht so gering, mittel oder an der Grenze zu hoch liegt.

Risky Business

Diese Klasse von Risiken sind (hoffentlich) das »tägliche Brot« des Projektmanagers. Natürlich wären gar keine Risiken oder nur sehr geringe Risiken noch viel schöner, aber dann müsste es Texte wie diesen hier nicht geben. 😉 Das »risikoreiche Geschäft« ist das Ausbalancieren von proaktiven Maßnahmen, um entweder die Eintrittswahrscheinlichkeit oder den Schaden zu minimieren und dem Bereithalten von Möglichkeiten, beim tatsächlichen Eintreten des Ereignisses passend reagieren zu können.

Unlucky Punch

Ein minimales Eintrittsrisiko, aber extremer Schaden für das Projekt. Diese Klasse “links oben” wird in vielen Darstellung zu den “gelben” Risiken gezählt, die verwaltet und beachtet werden müssen. Ich bin dennoch dafür, dieser Gruppe etwas mehr Aufmerksamkeit vor dem Projektstart zukommen zu lassen. Denn ein solcher »unlucky punch« kann das Projekt in der Tat zu Boden schicken. Sie wollen ein Beispiel für etwas, das kaum ein Projektmanager auf dem Schirm hatte, weil es ja so unwahrscheinlich ist und das dennoch reihenweise Projekte und Unternehmen in den Abgrund riss? Wie wäre es mit einer Virus-Pandemie? 😉 Ich habe im Februar noch mit einem Freund gesprochen, dessen Unternehmen große Projekte startete, um noch mehr zu wachsen.

WTF

Eine andere Gruppe von Risiken, die ebenfalls anders als die »normalen, gelben« Risiken behandelt werden sollten, ist das Feld “rechts unten”. Hier frech mal als »WTF« bezeichnet handelt es sich dabei um Projektrisiken, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werden, das Projekt letztlich aber nur minimal schädigen. Warum ist das ein Sonderfall? Wenn ich mit dieser Wahrscheinlichkeit weiß, dass ein Risiko eintreten wird, dann ist das kein Risiko mehr, sondern ein zu erwartendes Ereignis, also eine Umfeldbedingung (wie ein Quartalsabschluss oder ein teilweiser Ausfall von Transportkapazität durch einen Unfall des LKWs auf einer bekannt gefährlichen Autobahn).

Three sisters

Aus der Schifffahrt und der Ozeanologie kommt der Begriff der »drei Schwestern«. Dabei handelt es sich um sog. Monsterwellen, die meist in Dreiergruppen auftreten und kurz hintereinander folgen. Ein Quertreffer führt unweigerlich zum Kentern. Die extrem steile und hohe Wellenfront führt zusammen mit dem geringen Abstand fast sicher dazu, dass ein frontal auftreffendes Schiff von der zweiten und dritten Welle überrollt wird und die nicht auf diese Last ausgelegten Aufbauen getroffen werden oder der Schiffsrumpf durch die Punktbelastung brechen kann. Diese Kombination gibt es auch im Projektgeschäft und das fällt eben nicht mehr unter die »üblichen Verdächtigen«. Ein Ereignis, das allein auftretend ein Projekt noch nicht gefährdet, aber im Schlepptau andere Ereignisse auslöst oder gekoppelt mitbringt, die ein Projekt extrem gefährden können.

Game Over

Diese beiden Risikoklassen bedeuten, wenn nicht sofort mit aller Kraft gegengesteuert wird, in den meisten Fällen den Abbruch des Projekts. Was helfen kann, ist ein deutliches Ändern der Projektziele zum Sichern bereits erreichter Ergebnisse oder das Aufspalten in Teilprojekte, falls das aus Sicht der Abhängigkeiten möglich ist. Eine deutliche Verschiebung des geplanten Projektendes ist fast immer die Folge. Was in den allermeisten Fällen nicht hilft, ist es, einfach mehr Leute ins Projekt zu holen. Das sollte auch bei der Riskobewertung bedacht werden. Die dann notwendige Abstimmung, Einführung ins Projekt und die erhöhte Last der Projektkommunikation verzögert das Projekt eher noch als das es hilft.

Instant Death

Wenn sich in einer Risikoanalyse in dieser Klasse ein Eintrag findet, können Sie das Projekt absagen. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. 😉


Farben und Visualisierung

Lisa Charlotte Rost, “How to pick more beautiful colors for your data visualizations”, https://blog.datawrapper.de/beautifulcolors/, abgerufen 2020-10-16

Share Kommentare deaktiviert