Ui, ein Sequel 😉
Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils zum Thema Portfolios. In diesem Teil finden Sie auch die Erklärung, warum ich »Portfolio« schreibe und nicht »ePortfolio«.
Zielgruppe, Zielgruppe, Zielgruppe
Egoless Thinking
Ich möchte an dieser Stelle nochmals klar machen, worauf der erste Teil und dieser Artikel aufbauen. Es geht um das Erstellen und Führen von Portfolios für Schülerinnen und Schüler.
Wer auch immer nun im Verlauf der Diskussion mit irgendwelchen Tool-Vorschlägen um Eck kam, sollte sich möglicherweise beide Posts nochmal in Ruhe durchlesen. Ich glaube allen, dass es wunderbare Tools gibt, das Universitäten ganz tolle Ideen mit Portfolio-Software realisieren und dass viele Schulen das Thema Portfolios mit irgendwelchen Tools und Apps behandeln. Das schießt nur alles völlig an der Zielgruppe vorbei. Es geht nicht darum, ein »Tool« oder »eine App« zu finden.
Es geht darum, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, welchen Sinn ein Portfolio hat und für welche Zwecke dieser Ansatz geeignet ist. Wird das auch nur ansatzweise gemacht und über das »Warum« diskutiert und miteinander gelernt, dann zeigt sich schnell, dass es nichts sein kann, das als Software nur im Bildungsbereich verbreitet ist, das nicht flächendeckend genutzt wird, auch außerhalb und nach der Schule einsetzbar ist, mit Geld über dem Budget von SuS (hier als Schülerinnen und auch Studentinnen zu lesen) bezahlt werden muss. Wer auch immer dieses Thema nur aus der Perspektive der Schule oder gar seiner eigenen Schulart denkt, ist bereits auf dem falschen Dampfer. 😉
Langlebigkeit
Ich habe mein Abitur 1983 gemacht (ja, ich bin offiziell »Vintage« 😄), was hätte mir denn mein Kollegstufenbetreuer damals als Software empfehlen sollen? In der heutigen Gesellschaft wird kaum jemand mehrere Jahrzehnte und ununterbrochen die Tätigkeit ausführen, für die die erste Ausbildung gedacht war. Dazu kommt lebenslanges Lernen. Ich führe heute noch ein »Lernplanbuch« (interessanterweise in Form eines mit Handschrift und Skizzen gefüllten Moleskine). Es hilft an dieser Stelle allein ein Perspektiv-Wechsel in die Sicht der Lernenden. Es ist mir persönlich höchst egal, mit welcher Software sich Lehrkräfte ihre grauen Haare verdienen, weil wieder irgendein Problem auftritt. Es ist mir überhaupt nicht egal, wenn meine Tochter Arbeit, Zeit und Engagement in ein Portfolio steckt, das mit dem Tag des Schulwechsels seinen Sinn verliert, weil es nicht an einer beliebigen anderen Ausbildungsstätte genutzt werden kann. Da bleibt nun mal nicht viel übrig außer dem, was sich seit drei Jahrzehnten bewährt: das offene Web und der Browser.
Mehrere Sichten
Ein Portfolio, dass nicht nur als reines Präsentations-Portfolio (im eigentlichen Sinne einer Bewerber-Mappe, s. das Portfolio auf meiner Homepage) genutzt wird, benötigt mehr als eine Sicht. Diese Sichten müssen ebenfalls geplant und der Nutzen erkannt, gelernt bzw. gesehen werden. Umso wichtige ist es dann, aus dem Pool an Artefakten verschiedene Ansichten zusammenstellen zu können. Schon damit fällt alles raus, was nur eine einzige Möglichkeit der Präsentation bietet. Gerade auch das Verknüpfen von Artefakten und Notizen dazu, also Hypertext wie er sein sollte, erzeugt erst den eigentlichen Wert eines Portfolios. Das kann durchaus durch die Kombination aus mehr als einem Werkzeug geschehen oder aber durch eine Dateihalde mit Schlüsselworten, die auf unterschiedliche Weisen kombiniert und ergänzt werden.
Portfolios müssen »wachsen« können
Aus den letzten beiden Abschnitten ergibt sich die Anforderung, dass Portfolios wachsen und skalieren können müssen. Beginnt eine Schülerin, ihre Lernreise in der 7. Klasse in einem Portfolio zu dokumentieren, wird dieses sicher anders aussehen als 20 Jahre später. Der Bericht über die Übung der Jugendfeuerwehr, der die Grundlage für ein Engagement im Ehrenamt gelegt hat, ist diese 20 Jahre später aber immer noch eminent wichtig. Auch damit zeigt sich wieder, dass nur offene und langlebige Formate Sinn ergeben, wenn es um die Ausgestaltung eines Portfolios geht. Irgend eine »App«, von der ich nicht mal weiß, ob sie nicht in drei Jahren eingestellt wird, ist sicher nicht die beste Wahl. Falls jemand glaubt, dass sowas selten ist, der werfe einen Blick auf den »Google Friedhof», die Sammlung der eingestellten Google-Produkte!
Spezialfall Grundschule
Ein besonderer Bereich beim Thema Portfolio ist die Grundschule. Ein Portfolio erfordert neben dem Verständnis des “Warum überhaupt” auch das Wissen um die Einsatzzwecke und die Anforderungen der Leser solcher Portfolios. Ich bin der Meinung, dass das Thema auch im Grundschulbereich (dann aber eher mit digitaler Unterstützung erstellt, aber analog genutzt und präsentiert) durchaus behandelt werden kann. Das Führen eines Portfolios und dessen Möglichkeiten erschließen sich aber erst später. Dass es in der Diskussion des originalen Tweets von Kathrin Grün und zum ersten Teil des Blogposts sogar Lehrerinnen und Lehrer gab, die fragten, warum z.B. Evernote kein Portfolio-Tool ist, zeigt nur, dass ich solche Anforderungen nicht an Grundschüler stellen darf. Ich bin kein ausgebildeter Didaktiker und überlasse hier das Urteil den Fachleuten, insofern viel Erfolg bei der Diskussion.
Ich bin sehr neugierig, wie das Thema Portfolio im Grundschulbereich angegangen wird, schon aufgrund der meiner Meinung eine gewisse Entwicklungsstufe voraussetzenden Erkenntnissen zum »Wie und Warum« von Portfolios. Sollte sich eine Lehrkraft aus dem GS-Bereich eines armen, interessierten Nicht-Lehrers annehmen wollen und ein paar Fragen beantworten, freue ich mich auf eine Mail oder eine Direktnachricht auf Twitter.
Spezialfall Lehrkräfte(-Ausbildung)
Ein weiterer Spezialfall beim Führen von Portfolios ist der Bereich der Lehrkräfteausbildung bzw. der beruflichen Laufbahn von Lehrkräften. Es gibt diesen uralten, bis zum Knochen abgenagten Kalauer “Lehrer sind Leute, die nach der Schule gleich in Pension gehen”. An dieser Stelle hat er allerdings seine Berechtigung. Denn damit eröffnet sich von der Sekundarstufe II über die Hochschulausbildung über eine eventuelle weitere oder parallele wissenschaftliche Tätigkeit und der beruflichen Tätigkeit im Schulbetrieb ein großes Zeitfenster für die Nutzung einer im Bildungsbetrieb verbreiteten Software wie z.B. Mahara. Doch sogar hier kann es immer vorkommen, dass eine Schule oder ein Ministerium eine andere Software nutzt oder eben immer noch auf ein analoges (oder–horribile dictu–gar kein) Portfolio-Tool setzt.
Niemand mag’s lesen
Viele Portfolios von Schülerinnen und Schülern kranken an einem Problem, das sehr schön meine Argumentation im ersten Teil zusammenfasst. Die durchgehende Nutzung von Portfolios ist immer noch eine Ausnahmerscheinung. Siehe auch Tweets wie diese:
Dummerweise ist die Mühe meist vergebens, da die Sek/dasGym diese eh nicht abfordert.
– T.Körner (@t_korner) auf Twitter
Dazu kommt ein interessanter Blickwinkel. Ein Portfolio sollte ein »Pull«-System sein und kein »Push«-System. Was bedeutet, dass auch hier nur offene, übertragbare Formate möglich sein können. Zusätzlich zeigt sich hier auch, dass ein »echtes« (wir fiel kein besseres Wort ein) Portfolio erst nach der Grundschule Sinn ergibt, da die Schülerinnen und Schüler ja selbst an ihren Portfolios arbeiten sollen. Wenn die Schule diese kontrolliert, ist sowas gar nicht möglich.
Nochmal »own your stuff«
Domains und Webspace trennen
Einige Fragen haben mich zum Thema Domain, Registrar und Webspace erreicht. Viele Einstiger tendieren dazu, ein Paket aus Domains und Webspace bei einem Anbieter zu bestellen. Das sieht bequemer aus. Üblicherweise empfehle ich die Trennung von Domainregistrierung und Webhoster, weil dies einen Gewinn an Flexibilität bringt, der sich gerade beim »digitalen Erwachsenwerden« zeigt. Warum ist das so?
Ein Registrar ist eine Organisation oder ein Unternehmen, der die Dienste einer Domain Registry (salopp gesagt, einer Top-Level-Domain) vermittelt und für Endkunden die Registrierung von Internet-Domains ausführt und die Kosten mit den Endkunden abrechnet. Hier wird die Domain verwaltet. Teil dieser Verwaltung sind die Einträge für Nameserver, den Dienst, der aus Domain-Namen die IP-Adressen macht. Wer hierzu etwas mehr Information möchte, hier klicken
Wenn der Webspace-Anbieter irgendwann gewechselt wird oder aus einem einfachen Webspace ein virtueller eigener Server werden soll, kann der Vertrag mit dem Hoster einfach gekündigt werden, ohne dass ein Umzug der Domain nötig ist. In der Domainverwaltung werden einfach die neuen IP-Adressen eingetragen und die Sache ist erledigt. Es ist kein KK-Antrag nötig, es muss kein Domainwechsel abgewartet werden, etc. pp. – Auf jeden Fall empfehlenswert.
Eigener Auftritt
Ein Portfolio ist Teil der eigenen digitalen Identität und damit auch der persönlichen Marke. Das Thema »brand management« ist auch für einzelne Personen im Netz sehr wichtig, schon daher sollte niemand von externen Anbietern abhängig sein. Ein Portfolio, das aber bei einer Schule, Hochschule oder einem beruflichen Netzwerk hängt, ist damit auch meiner eigenen Kontrolle entzogen. Dazu kommt, dass ich meistens nur eine Sicht auf die Daten präsentieren kann. Ein Portfolio kann aber, wie im ersten Teil beschrieben, sowohl Präsentation, Dokumentation der Lernreise, Reflexion und anderes sein. Inhalt sollte daher immer auf dem eigenen Auftritt und der eigenen Domain liegen. Von externen Anbietern auf diese Inhalte verlinken ist der Weg mit der größten Flexibilität und der größtmöglichen Kontrolle.
Daten-Portabilität
Viele Systeme und Anwendungen bieten eine Export- und Importfunktionalität an. Diese sind aber nur scheinbare eine einfache Lösung. Zum ersten ist es bei den allermeisten Anwendungen so, dass der Import ins eigene System immer bevorzugt wird (logisch, man will ja Nutzerinnen bekommen und nicht verlieren). Ein Export in viele Fremdformate hingegen ist kaum zu finden. Dazu kommt, dass diese Exportformat oft eine Nachbearbeitung erfordern, wenn das Format beim neuen System nicht als Importformat vorliegt. Von den diversen Inkompatibilitäten sogenannter »Standards« möchte ich gar nicht erst anfangen. Daher ist es am einfachsten, wenn die Artefakte gleich in einem Format vorliegen, dass als eine Art »lingua franca« größtmögliche Offenheit bietet und nach Möglichkeit auch nur Inhalt und keine systemspezifischen Daten enthält. Ein solches Format ist »Markdown« (AsciiDoc ist eine etwas mächtigere und dadurch auch mit einer etwas steileren Lernkurve ausgestattete Alternative). Wechsle ich beispielsweise von einem manuell gepflegten System zu einem Blogsystem auf Markdown-Basis, muss ich nur diese Dateien mitnehmen. Beim Wechsel der Blogsoftware muss ich ebenfalls an den Inhaltsdateien im Normalfall nichts ändern. Dafür kann ich aus diesen Markdown-Dateien nicht nur HTML, sondern auch PDF oder Word-Dateien oder ein eBook erzeugen. Alle proprietären Formate (oder ein Export nach HTML) sind immer mit großem Nacharbeitsaufwand verbunden.
Pareto mal wieder
Natürlich gilt auch für dieses Thema der alte Grundsatz, dass mit 20% Aufwand 80% aller Zwecke erfüllt werden. Für die restlichen 20% braucht es dann eben 80% des Aufwands (oder noch mehr). Auch im Bereich der Portfolios sind die Anforderungen so breit und es existieren spezielle Anforderungen (einige habe ich oben bereits genannt), so dass die Aussagen in diesem Artikel nicht als der Weisheit letzter Schluss für alle Themen rund um Portfolios für Lernende gelesen werden sollten.