Glück muss man haben
Georg von Tiesenhausen hatte Glück gehabt. Schon wieder. Nicht nur, als er als Ingenieurs-Student im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht einberufen wurde und dann 40km vor Moskau den Befehl bekam, sein Studium in Hamburg fortzusetzen. Er schaffte auch den Abschluss und wurde dann 1943 sofort nach Peenmünde abkommandiert, wo Ingenieure für die V2 gebraucht wurden. Sein Glück setzte sich fort, als er überlebte, nach kaum zwei Jahren aus der Gefangenschaft entlassen wurde und sich anschließend mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen konnte. Er war Lastwagenfahrer, Mechaniker, Forograf und Büroarbeiter und arbeitete auch als Fahrer. Dort lernte er als Chaffeur eine alte Damen kennen, der eine Maschinenfabrik gehörte. Als diese erfuhr, dass er ausgebildeter Ingenieur war, erhielt er eine Anstellung bei der Firma Hatlapa und konstruierte dort Decksmaschinen und Schiffswinden. Wieder Fuß gefasst, könnte man sagen.
Aber seine Glücksfee hatte noch etwas aufgespart. 1953 erreicht ihn eine Nachricht von Wernher von Braun aus Huntsville in Alabama. Dieser wollte ihn als Raketen-Ingenieur für sein Team gewinnen. Natürlich folgte Georg von Tiesenhausen diesem Ruf und als von Brauns Team 1960 Ende 1959 zur neugegründeten NASA überstellt wurde, begann seine Arbeit am Marshall Space Flight Center. Hier konnte er seinen Jugendtrum von einer Mitarbeit an einer Weltraumrakete verwirklichen.
Vor zwei Wochen ging dann relativ unbemerkt eine Ära zu Ende. Im hohen Alter 104 Jahren vertarb Dr. Georg von Tiesenhausen in Alabama. Er war nach dem Tod von Oscar Holderer 2015 der letzte deutsche Rakekten-Wissenschaftler aus dem Team von Wernher von Braun. Nun bleiben nur noch schriftliche Erinnerungen an die frühen Jahren der amerikanischen Raketentechnik.
Auch wenn Ihnen der Name möglicherweise nichts sagt: wenn Sie Bilder des Apollo-Programms oder der Mondlandungen gesehen haben, dann haben Sie auch die Arbeit von Dr. Tiesenhausen gesehen. Er war mit zuständig für die Starteinrichtungen des Apollo-Projekts und den Start- und Haltemechanismus der Saturn V. Zusätzlich war der “Vater des Mondautos”, dem lunar rover vehicle. Nach Apollo arbeitete er am Shuttle Programm mit und blieb immer Raketen-Ingenieur aus Leidenschaft für den Weltraumflug. Erst 1986 wechselte er in den “Unruhestand”, denn er wechselte als Dozent an die US Advanced Space Academy. Noch mit über 90 hielt er Vorträge zu Raumfahrt-Themen.
Georg, Du hast in Deinem Leben niemals richtig gearbeitet. Du hast viel Spaß gehabt. Eigentlich hast Du immer nur gespielt.
(Ehefrau von “Dr. von T”)
Beugelbuddels …
Ingenieure. Aus Deutschland. Damit kommen wir zu den Bierflaschen. :-) Denn während des Apollo-Programms musste das Raumfahrtprogramm buchstäblich laufen lernen, während es seine ersten Schritte machte. Es gab schlichtweg keine Vorbilder, keine Erfahrungen. Für die Ingenieure eine heute nicht vorstellbare Herausforderung, mehr oder weniger aus dem Nichts oder völlig anderen Erfahrungsfeldern Ideen für eine Mondlandung zu entwickeln.
Eine dieser Herausforderungen war die Tatsache, dass die Saturn-Rakete auf der Startrampe ja gesichert werden musste. Man stellt Raketen
entgegen vieler Cartoons nicht einfach mit den Triebwerken auf den Boden und hofft, dass sie nicht umfallen. 😏
Auch der LUT (launch umbilical tower, also der Turm für die “Nabelschnüre” zur Rakete), den Sie auf Bildern sehen, dient nur der
Versorgung mit Kalben und Leitungen sowie dem Zugang zur Rakete, nicht der Stabilisierung. Zusätzlich muss die Saturn V während des
Transports auf dem “crawler”, dem Transporter für Turm und Rakete, ebenfalls stabil stehen.
Sicher kann die Rakete auf der Startplattform “befestigt” werden; das Problem ist dann nur, sie nach dem Start der Triebwerke schnell genug “los zu lassen”. Dabei hatte Georg von Tiesenhausen die entscheidende Idee. Er erinnerte sich an das Bier aus seiner Heimat …
Eine Bügelflasche (beugelbuddel für die Nordlichter hier) hält den Verschluss fest und auch gegen große Kräfte sicher auf der Flasche.
Dieser kann aber auch aufgrund seiner Konstruktion mit wenig Kraftaufwand und sehr schnell geöffnet werden ("plopp" 😄)
Mit genau dieser Idee überzeugte Georg von Tiesenhausen das Team. Wenn Sie sich die nachfolgende Schemazeichnung ansehen, erkennen Sie
das gleiche Prinzip. Die “Öffnungsrichtung” ist durch die roten Pfeile gekennzeichnet. Das blaue Rechteck entspricht einem Teil der
Raketenhülle, an dem der Haltearm festgespannt wird.
So out of our own imagination and ideas we had to form what later became the hardware that we’re all familiar with.
We had a bunch of very, very creative people.
(Dr. Georg von Tiesenhausen)
Da eine vollgetankte Saturn V etwa 2900 Tonnen (!) wiegt, musste die Konstruktion etwas größer ausfallen. Für die Saturn V wurden im Winkel von 90° insgesamt vier Haltearms gebaut, die das gesamte Gewicht der Mondrakete trugen. Jeder einzelne Haltearm konnte eine Haltekraft von über 300 Tonnen entwickeln! Die folgende Grafik, zeigt die Gesamtmaße und ein Foto mit einem Menschen als Vergleich. Auf diesen vier Punkten ruhten die gesamten 2900 Tonnen!
Diese Konstruktion ermöglichte es auch, zum Start die Haltearme innerhalb kürzester Zeit zu öffnen. Allerdings nicht sofort nach dem Zünden der Triebwerke, denn die fünf gewaltigen RocketDyne F1-Motoren mussten erst gleichmäßig und mit vollem Schub laufen. Für mehrere Sekunden mussten die Haltearme also den gesamten Schub der ersten Stufe aushalten können. Jeder einzelne F1-Motor hatte mehr Schub als alle drei Haupttriebwerke eines Space Shuttles zusammen und es liefen fünf Stück davon! Aufgrund des enorm hohen Startgewichts der Rakete war das durchaus machbar. Sobald das Kommando von der Rakete empfangen wurde, dass alle Triebwerke fehlerfrei laufen, musste die Elektromachanik alle Haltearme innerhalb von ca. 0.05 Sekunden öffnen. Sollte der pneumatische Öffnungmechanismus nicht funktionieren, würde eine Sprengmutter spätestens nach 0.18 Sekunden dafür sorgen, dass die vorgespannte Mechnik rechtzeitig die Saturn V freigibt.
Das Video zeigt den Start von Apollo 11 aus der Perspektive von Kamera E8. Links und rechts im Bild sehen Sie unten zwei Haltearme. Die beiden großen Türme sind Versorgungs-Türme für Leitungen.
Autofahren auf dem Mond
Aus einem Bügelverschluss ein 18t schweres Haltegerät für eine Mondrakete zu bauen war nicht der einzige “Transfer” von Hardware, den Dr. von Tiesenhausen für das Apollo-Programm erreichte. Er ist auch als “Vater des Mondautos” bekannt geworden. Bereits 1963 begann er mit der Planung von “mobility systems for the lunar surface”. Aber das ist ein anderer Blogpost …
Besonders stolz bin ich, dass eigentlich alle Komponenten, die ich bereits in meinem ersten Entwurf vorgesehen hatte, auch in das endgültige Produkt übernommen wurden
(Dr. Georg von Tiesenhausen)
Nach 8 Jahren im Apollo-Projekt und insgesamt 33 Jahren bei der NASA konnte Dr. von Tiesenhausen auf zahlreiche Auszeichnungen, die ihm teilweise von den Astronauten des Apollo-Programms persönlich überreicht wurden und sechs Patente zurückblicken. Seine Kollegen bei der NASA nannten ihn freundlich-respektvoll “Dr. von T” und mit ihm ging wirklich eine Ära in der Geschichte der Raumfahrt zu Ende.
Bannerbild: Saturn V Buildung Johnson Space Center / Wikipedia von ilovebutter CC-BY-2.0 von ilovebutter/Wikipedia