
Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen
Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen
Heute Morgen war einer dieser Wochenend-Morgen, die ich liebe. Meine Frau liest, die Tochter erholt sich von einer anstrengenden Woche und schläft aus und Chico liegt neben mir auf der Couch, während ich mit Morgenkaffee versorgt und dem Tablet etwas im Fediverse lese, ein paar Mailinglisten durchblättere oder interessanten Online-Hinweisen von anderen zu Themen nachgehe, die mich interessieren. Warum sich dabei oft schöne Lernreisen und neue interessante Themen erheben, versuche ich in diesem Blogpost zu zeigen. Für alle, die also wissen wollen, was in einem chronisch neugierigen Menschen so vorgeht, viel Spaß beim Lesen!
Vorab in einem Absatz mein Versucht, den Begriff “Serendipity” zu erklären. Etwas, das Zeit, einen offenen Geist und Muße erfordert.
Serendipity (oder auf deutsch, Serendipität, was IMHO nicht wirklich besser klingt 😉) bezeichnet eine ungeplante glückliche Entdeckung und lebt von einem bzw. erfordert einen offenen Geist. Der Begriff wurde 1754 von Horace Walpole geprägt. Er erklärte eine unerwartete Entdeckung, die er auf einem verlorenen Gemälde von Bianca Cappello von Giorgio Vasari gemacht hatte, mit Bezug auf ein persisches Märchen „Drei Prinzen von Serendippo“, das von Cristoforo Armeno überarbeitet und ins Italienische übersetzt wurde. In dieser Geschichte finden die drei Protagonisten auf ihrem Weg eine Reihe von Hinweisen, die sie mehr als einmal retten und die ihre Entdeckungen durch Zufall und Scharfsinn machten, nicht durch aktives Suchen.
So gesehen kann Serendipity als “aktives Glück” erklärt werden, bei dem zufällige Begegnungen, zufällige Funde und menschliches Handeln ineinander greifen. Ein verpasster Flug, ein Spaziergang im Park oder ungeplante Entdeckungen beim Recherchieren kann zu neuen Interessen, Freundschaften, Lernreisen oder sogar Karrierechancen führen.
Während der Volksmund Serendipity oft mit reinem Zufall gleichsetzt, betonen wissenschaftliche Diskussionen die entscheidende Rolle des menschlichen Handelns. Das Erkennen, Interpretieren und Nutzen unerwarteter Gelegenheiten ist der Schlüssel zu zufälligen Entdeckungen. Diese Wechselwirkung zwischen Zufall und bewusstem Handeln ist ein zentrales Thema in Bereichen wie Kreativität, Führung und Innovation.
Fangen wir am Anfang an. Ich folge neben vielen anderen Leute im Fediverse auch Amy, einer Linguistikerin an der Universität von Arizona (https://lingo.lol/@amyfou). Nachdem wir beide Hunde haben und lieben, postet auch Amy “dog content” 🐕💖 und einer der Posts war dieser hier:
Auf das Bild des Posts klicken, um ihn im Browser zu öffnen
Neben dem süßen Boston Terrier, der hier spazieren geführt wurde, sah ich mir auch die Schilder zu den jeweiligen Gebäuden an. Eines davon mache mich neugierig:
Erstens: wer ist oder war Bryant Bannister? Zweitens: ist ein “Tree-Ring Building” das, wofür ich es halte?
Erste Station also eine Suche nach bryant bannister tree-ring building
und siehe da, das ist tatsächlich das Labor für Dendrochronologie der Universität Arizona und das Gebäude mit der interessanten Architektur ist relativ neu und wird mit einem eigenen Artikel zum Bau gewürdigt. Wer Interesse an architektonischen Ausführungen hat, hier der Artikel des Architekturbüros.
Die Suche auf der Website der Universität und bei den üblichen Suchmaschinen ergibt eine Menge Treffer, einer davon führt zur Sammlung “Bryant Bannister Papers”. Prof. Bannister (1926—2016) war ein bekannter Dendrochronologe der Universität von Phoenix und mehr Informationen finden sich hinter dem Link. Er war in seiner Zeit als Direktor auch maßgeblich an der Aktualisierung der dendrochronologischen Daten des nordamerikanischen Südwestens beteiligt.
Woher wissen Forscherinnen und Forscher beim Ausgraben eines mittelalterlichen Brunnens oder eines eisenzeitlichen Fürstengrabes, wann diese Ereignisse stattfanden? Weil Sie anhand der Jahresringe des Holzes am Fundort in einer Art “Kalender” nachschlagen können: einem Jahresringarchiv. Die Dendrochronologie ist also die “Wissenschaft des Baumalters”. Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Astronomen Andrew Ellicott Douglass (1867–1962) zurück, bei dem obiger Professor Bryant Bannister übrigens studierte. Mehr zur Dendrochronologie findest Du hinter diesem Wikipedia-Link.
Ich wusste, dass es diese Wissenschaftsdisziplin gab und kannte auch den Hohenheimer Jahrringkalender, der lückenlos über 12.000 Jahre zurück bis ins Jahr 10.480 v. Chr. geht. Die Abfolge von Frühholz (hell, im Frühjahr gebildet nach Beginn der Vegetationsperiode) und Spätholz (dunkel, gegen Ende der Vegetationsperiode gebildet) erlaubt das Auszählen der Ringe und die Dicke der einzelnen gebildeten Ringe zeigt ab, ob es für den Baum ein gutes oder ein schlechtes Jahr war. Vergleiche man viele Bäume aus der gleichen Gegend, deren Ringe sich überlappen, lässt sich ein lückenloser Kalender anfertigen. 😉
Was ich aber noch nicht wusste, dass es eine ganze Reihe solcher “Archivkalender” von Jahresringen gibt, für verschiedene Gebiete der Welt. Für alle Interessierten: https://de.wikipedia.org/wiki/Jahresringtabelle
Beim Lesen des Artikel stieß ich auf diesen Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Methuselah Dort werden die ältesten noch lebenden Bäume der Welt beschrieben: Methusalem war bereits in den 50ern des letzten Jahrhunderts über 4700 Jahre alt! Der älteste bekannte noch lebende Baum wurde ebenfalls von einem Forscher der Universität von Arizona gefunden und zwar ebenfalls bereits in den späten 50er Jahren, die Probe wurde aber damals nicht ausgewertet. 2012 kam dann heraus, dass dieser Baum auf 2015 bezogen ein Alter von 5065 Jahren besitzt!
Als die 1. Dynastie nach der Vereinigung Ober- und Unter-Ägyptens um das Jahr 3032 v.Chr. ihre Herrschaft begann, was dieser Baum also bereits volljährig! Es gibt diesen ägyptischen Spruch “die Menschen haben Angst vor der Zeit, aber die Zeit hat Angst vor den Pyramiden”. Vielleicht sollten die Pyramiden mal mit den Kiefern in den White Mountains reden. 😎
Kleiner Nachtrag zur langlebigen Kiefer: https://www.conifers.org/pi/Pinus_longaeva.php — dort tauchen auch wieder Schulman und Bannister auf, also habe ich auf den Seiten der Uni von Phoenix noch etwas herumgelesen und stieß dann bei der Suche nach dem Nachruf für Professor Bannister über 13News des Fernsehsender KOLD in Tucson, Arizona auf einer Meldung der Universität von Phoenix.
Die Meldung auf https://news.arizona.edu/news-releases lautete “How did humans and dogs become friends? Connections in the Americas began 12,000 years ago?”. Hier ist der Link zum Artikel, der sich mit den Ursprüngen der besonderen Beziehung zwischen Mensch und Hund auf dem amerikanischen Kontinent beschäftigt.
Die Assistenzprofessorin François Lanoë und ihre Co-Autorinnen und -Autoren beschreiben in der Studie Link von Anfang Dezember 2024, wie offenbar bereits vor 12.000 im subarktischen Alaska Menschen und Hunde zusammenlebten, da die Nahrung der Hunde der küstenfernen Jägergruppen bereits aus Lachs bestand und die Hunde aufgrund der Entfernung zur Küste diesen nicht selbst gefangen haben konnten.
Die Zeit selbst ist gar nicht so früh. Beim Lesen fiel mir ein, dass ich irgendwo in meiner “digitalen Grabbelkiste” da neulich einen Link abgespeichert hatte, der zeigte, dass Hunde im Gegensatz zu Wölfen über zusätzliche Augenmuskeln verfügen, die sich wohl im Laufe der Domestizierung entwickelten und den berühmten “Hundeblick” ermöglichen. Falls jemand noch Lesestoff braucht, hier ist der Link zu “Evolution of facial muscle anatomy in dogs”.
Interessanterweise beherrschen Coyoten, deren Linie sich bereits vor etwa 1 Million Jahren vom Hund trennte (im Gegensatz zu etwa einer halben Million Jahren beim Wolf, also viel später), ebenfalls den “Hundeblick”.
So, genug gesurft, gespeichert und gelesen. 😉 Das alles passierte diesen Samstag zwischen etwa halb Neun Morgens und Elf Uhr, begleitet von zwei Morgenkaffees. ich liebe diese Touren und all diese Links werden auch in der “digitalen Grabbelkiste” abgelegt, um sie später bei Bedarf wieder finden zu können. Danach gab es einen Spaziergang mit Chico, um wieder was anderes als Bildschirm zu sehen, mit dem Hund zu spielen und sich am Frühling zu erfreuen.
Jetzt wisst Ihr, wie so eine kurze Tour durch meine Interessengebiete aussieht, die Begleitung meiner Reisen in Richtung “Serendipity” in den anderen Gebieten laufen ähnlich, falls Ihr Euch also fragt, warum ich öfter mal frage, ob jemand dieses 48h/Tag-Update gefunden hat. 🤣😂
Kommentar von 2025-04-06:
In case it's of interest, the building where my office is on the University of Arizona campus is the Douglass building - it was the second building constructed at the University, and is named for that Douglass, the tree rings guy.
This was awesome to read! I learned many things!
Lizenz für diesen Post CC-BY-SA 4.0