Edu Blogparade 4

Edu Blogparade Teil 4

Für das Jahr 2024 haben einige Bildungsinteresssierte (in der Mehrzahl Lehrkräfte, ich bin hier der Exot 😉) beschlossen, jeweils zu einem vereinbarten Thema zu bloggen. Zum Hintergrund der Episode 4 gibt es hier einen Link. Da ich weiß, wie sehr es Lehrkräfte lieben, wenn jemand auf den letzten Drücker (oder später) abgibt, kommt mein Beitrag natürlich erst am Montag und nicht noch am Sonntag (das Wetter war zu schön).

Das Thema dieses Mal ist

“Ein Lehrer aus meiner eigenen Schulzeit hat mich nachhaltig beeindruckt, weil…”

Kleiner Exkurs: Ich nehme mal an, dass auch Lehrerinnen beeindrucken und nachhaltige Erinnerungen an die Schulzeit schaffen können. Da scheint sich der Text in der Ankündigung schon diesem bayerischen Trapezkunststück der Logik anzupassen. Mit dem Genderverbot wird gezeigt, dass man keine Sprachpolizei will. Ich warte eigentlich nur noch darauf, dass die ersten Kabarettistinnen und Comedians die bayerische Staatsregierung auf Unterhalt verklagen, weil sie ihnen die Existenzgrundlage nimmt. Aber zurück zum Thema.

Eine Lehrkraft also, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Wer in der Schulzeit Glück hat, trifft während der Zeit bis zum Abschluss auf zwei oder drei dieser Menschen, die das im positiven Sinne geschafft haben. Die negativen Eindrücke lasse ich mal außen vor. Nur so viel: die Fächerkombination Religion und Physik fand ich “interessant” (hätte Galileo auch gefallen) und das Ergebnis war suboptimal in beiden Fächern. Dann gab es noch jemand, die ich fragte, ob sie sicher sei, dass Pädagogin die richtige Berufswahl gewesen sei und bei einigen anderen hätte ich das auch tun sollen. Aber, wie Herr Mess schreiben würde, “acta est fabula”. 😎

Positiv nachhaltig beeindruckt, “choose one of them”. Puh. OK, wenn ich denn ein “honorable mention” da lassen darf, weil es eigentlich kein Lehrer von mir war. Herr K. ist der Vater einer früheren Klassenkameradin am Gymnasium, weswegen ich ihn nie als Lehrer hatte, aber in der Foto AG als Betreuer. Und er hat mir fotografisch die Augen geöffnet. Umgang mit der Kamera, Blick für Motive, Bildgestaltung und Dunkelkammerarbeit. Ich habe sogar Farbentwicklung „zu Fuß“ (ohne Prozessor, nur mit Trommel) gelernt. Das hilft später beim Arbeiten und Kochen enorm, einen klar strukturierten Arbeitsplatz zu behalten, weil es da zeitweise komplett dunkel sein muss und Temperaturangaben keine Schätzwerte sind, sondern Vorgaben. Glücklicherweise habe ich noch Kontakt und durfte ihm kürzlich zum 88. Geburtstag gratulieren. Ad multos annos!

And the Oscar goes to…

Ich habe mein Abi Anfang der 80er in Bayern gemacht, mit einem Leistungskurs in Englisch und einem in Biologie. Diese goldenen Zeiten der Kollegstufe, als man Mathe oder eine Fremdsprache einfach abwählen konnte, sich Fächer nach Interessen suchte. Englisch war eine einfache Wahl (Funk, Elektronik, Computer), für das zweite Fach fiel die Wahl auf Biologie. Ich mochte Naturwissenschaften damals schon (und auch heute noch), Biologie fiel mir leicht und da war der Lk eine mehr oder weniger logische Wahl.

Für die zwei Jahre der Kollegstufe hatten wir einen Lehrer, bei dem “engagierter Pädagoge, der für sein Fach brennt” eine gloriose Untertreibung wäre. Herr Ludwig B. (sein bayerischer, immer mit Ehrfurcht von der Schülerschaft ausgesprochener Spitzname “Bio-Wigg”) hat tiefe, nachhaltige Erinnerungen hinterlassen. Er hat mir (und wahrscheinlich den anderen im LK Bio) vermittelt, was wissenschaftliche Denkweise bedeutet und wie wichtig diese ist (wie Prof. Lesch neulich in einem Vortrag sagte, “wenn wir uns hier nicht einig sind, kann ich gleich aufhören”).

Ich glaube, 90% aller Modelle in der Fachschaft stammten von ihm. Der Übergang zwischen Biologie und Chemie war bei ihm fließend. Immer neugierig geblieben und mit einem ziemliche schwarzen Humor als Schutzschild gegen das System ausgestattet, brachte er uns bei, wie wichtig das folgende Zitat ist (Feynman mochte er, wohl wegen seines leicht subversiven Hangs, was starre Vorschriften angeht).

Ich habe lieber Fragen, die man nicht beantworten kann als Antworten, die man nicht hinterfragen darf.
– Richard P. Feynman

Er war weniger Didaktiker als Mathetiker (er war so begeistert von Themen, dass wir das lernen wollten) und wenn uns manchmal auch seine sokratische Art aufregte, stellte ich im Nachhinein oft heraus, dass das der richtige Ansatz war. Ich habe immer noch seinen oft getätigten Ausspruch “Ja, ich hab doch auch keine Ahnung, warum. Aber ich weiß, wie man das rausfindet!” im Ohr. Von sturem Faktenbüffeln hielt er nicht viel, wie eines meiner Lieblingszitate von ihm zeigt (keine Ahnung, was die Geschichts-Lehrkräfte davon hielten):

Machen Sie‘s nicht wie in Geschichte. Das Jahr, in dem Hannibal über die Alpen gelatscht ist, ist doch erstmal völlig egal. Die wirklich interessante Frage ist doch, warum über die Alpen und warum gerade an dieser Stelle. Ich frier mir doch nicht die Hacken ab, wenn ich keinen wichtigen Grund dafür habe. Gehen Sie Sachen auf den Grund, egal in welchem Fach!

Herr B. brachte mich dazu, oft Nachmittags noch in der Schule zu sitzen, Dinge zu lernen, an Modellen zu bauen und Fragen zu stellen. Immer bei einem guten Kaffee, den Zucker hatte er aus Vorsicht vor dem Verbrauch der Kollegen in der Fachschaft in einem Glas mit der Aufschrift “Strychnin” (bestimmt wusste jeder in der Schule Bescheid, aber wir fanden das damals witzig).

Er war Mentor, Kritiker und Denk-Anstoßer. Ich habe in der Freizeit Chromatographieren gelernt (ein Gaschromatograph für die Schule war sein Traum). Er brachte uns bei, wie saubere Mikrotomschnitte aussehen und ich konnte damals brauchbare Mikroskopie-Präparate anfertigen. Das heute vielzitierte Wort “Fehlerkultur” lebte er. Solange wir nicht fahrlässig waren und was gelernt hatten, war das in Ordnung. Seine eigenes Referendariat in Augsburg hätte angeblich beinahe geendet, weil sich herausstellte, dass Thermit und ein antikes Fuggertischchen keine allzu gute Kombination waren. ;-)

Gegen Ende der K12 fuhren wir im Mai 1982 für eine Woche nach Helgoland. Mit dem Zug nach Hamburg (pünktlich!) und dann mit dem Schiff zur Insel. Anschließend auf Reede liegend ausbooten, ein echtes Erlebnis für uns Landratten. Wir haben die Biotope der Insel besucht, Vogelbeobachtungen gemacht (die ersten Lummensprünge gesehen, völlig verrückte Vögel) und waren auf der Düne unterwegs. Wir lernten Donnerkeile (fossile Belemnitenteile) von Steinen zu unterscheiden, Bernstein von Phosphor (an der See gefundenen Bernstein nie in die Hosentasche stecken!) und andere Dinge. Im Felswatt unterhalb der langen Anna klassifizierten wir Fauna und Flora. “Polysiphonia nigrescens” wird mir immer im Gedächtnis bleiben, weil der “Bio-Wigg” meinte, “da ist ein schönes Exemplar, holens des mal”. Meine Anglerstiefel waren aber nur noch ein paar Zentimeter über der Wasserlinie. Eine kleine Welle und “gluck, gluck, gluck” wurde ich zum Transporter von ca. 10 Litern Nordseewasser, Sacklzement!

Wir fuhren zum Dorschangeln (und dank der Witterung auch zum Dorschfüttern - ewww! 😆🤢) und haben ein Seminar einer norddeutschen Uni in Erstaunen versetzt, was in Bayern alles Inhalte eines LK Bio ist (“das kommt bei uns erst im zweiten Semester”). Tja, hättet Ihr mal den Herrn B gehabt.

Seine Leistungskurse brachten bei den Facharbeiten Modelle hervor wie das der Vogelwarte Helgoland mit 1,5 x 2 Meter in höchster Detailtreue. Auch damals hieß es schon, dass 30 Seiten so das Maximum sein sollten, was Herrn B. erheiterte: “30 Seiten, das ist was für die Mathematiker oder Sportler. Als Naturwissenschaftler bin ich nach 30 Seiten mit dem Urknall fertig”. Besagte Facharbeit aus dem Jahrgang vor uns über die Vogelwarte Helgoland begann übrigens mit der Entstehung der Nordsee 🤣

Der Durchschnitt der Facharbeiten in unserem LK lag bei etwa 85 Seiten. 😆 Meine hatte knapp über 130 Seiten (“Die Experimente zur chemischen Evolution von Stanley Miller und ihre Anwendbarkeit im Schulkontext”). Jaja, ich höre das Stöhnen aller lesenden Lehrer bis hierher. Handgetippt auf einer Olivetti Schreibmaschine (mit einem “Friz Quadrata” Kugelkopf, ein wunderschöner Font, den ich dank vieler Korrekturen nie mehr vergessen werde). Ich habe dazu Unis in Großbritannien, den Staaten und die NASA kontaktiert (und Antworten bekommen, was mich als Schüler damals am meisten faszinierte).

Ich habe eine ganze Wand an simulierter Urerde nachgebaut (und dank Sauerstoffeintritt durch einen defekten Stopfen ist das ganze Gebilde hinter der Schutzwand während des Unterrichts bei einer 9. Klassen spektakulär in die Luft geflogen! Also zurück auf Los und nochmal aufbauen, auch das war ein Lerneffekt). Ich konnte als Ergebnis mehr als ein Dutzend Aminosäuren und Kohlenwasserstoffe nachweisen und Experimente für den Unterricht entwickeln.

Das Motto der Mythbusters nahm er vorweg: “schreiben sie das Zeug auf, das nennt sich wissenschaftliche Dokumentation” (die Schulversion von Adam Savages “if you write it down, it‘s science”). Er zeigte uns, dass simple Kausalketten in der Natur selten sind, vernetzte Systeme umso häufiger und er stellte uns bei einer Klausur frei, alles benutzen zu können, was wir an Unterlagen haben, dafür würden die Aufgaben etwas anders aussehen. Wenn hier Schülerinnen oder Schüler mitlesen: don‘t do it! Da raucht Dir die Rübe!

Nach dem Abitur war klar, dass ich Biologie studiere, idealerweise Meeresbiologie. Warum das dann doch nicht geklappt hat, könnt Ihr hier nachlesen nachlesen.

Heute noch fallen mir manche Sprüche von Herrn B. ein, der schwarze Humor und seine weit über die Biologie hinausgehende Neugierde und sein Geschick in der Vermittlung von Wissen und dem Interesse an der Biologie sowie die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens waren mit das Beste, was mir in den 9 Jahren Gymnasium passieren konnte. Danke, lieber “Bio-Wigg”!


Kommentare

Kommentar von @vilsrip am 2024-04-08:

Wunderbar! Hab deine Erinnerungen an den Bio-LK-Lehrer gern gelesen. Gleichzeitig ein Denkmal für das damalige Leistungskurs-System, dem ich auch lange nachgetrauert habe. Die sechs Wochenstunden (später nurmehr fünf) waren toll, da hatte man richtig Zeit für vieles, was nicht explizit “abiturrelevant” war, aber für das Fach wichtig.

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